Diagnostik

Die folgenden Abschnitte beziehen sich zwangsläufig vermehrt auf medizinische Probleme, denn in der Medizin geht es ganz entscheidend darum, die richtige Diagnose zu stellen, um den Patienten erfolgreich behandeln zu können. Die hier vermittelten Kenntnisse können aber auch sehr fruchtbar auf juristische, psychologische oder soziologische Probleme angewendet werden. Immer dann, wenn es um die richtige Zuordnung eines Zustandes zu einer Person, einer Gruppe oder einem Gegenstand geht, sind die nachfolgenden methodischen Verfahren erforderlich.

Zu jeder sinnvollen Behandlung, guten Entscheidung oder effektiven Handlung gehört vorher eine richtige Feststellung oder korrekte Diagnose. Und zu jeder Diagnose gehört eine Diagnostik, um den Zustand zuverlässig und sicher festzustellen. Die einfachste Diagnostik besteht in der Medizin darin, sich die Vorgeschichte anzuhören und die Person zu untersuchen. Gerade im Zeitalter komplexer und komplizierter Untersuchungsverfahren wird der Stellenwert einfacher Untersuchungen sehr stark unterschätzt und viele verlangen komplizierte Tests, weil sie sich davon eine genauere Diagnose hoffen. Warum diese Meinung falsch ist und viel nicht viel hilft, wird in den folgenden Abschnitten allen deutlich werden.

Ein einfache Untersuchung reicht für Erfahrene häufig schon aus, um die richtige Diagnose zu stellen. Anfänger benötigen häufiger komplizierte und umfangreichere Untersuchungen, um zu demselben Ergebnis zu gelangen wie der Erfahrene. Wenn unser Auto nicht mehr anspringt oder bei gleichzeitigem Leistungsverlust ungewohnte Geräusche von sich gibt, dann weiß der erfahrene Kfz-Mechaniker zu über 90 Prozent die richtige Diagnose. Wenn er außerdem sehr viel Erfahrung mit ihrem speziellen Autotyp hat und die gewöhnlichen „Krankheiten“ dieses Typs kennt, dann steigt die Sicherheit weiter an. Weitere Untersuchungen müssen häufig in solchen Untersuchungen nur noch zielgerichtet angeordnet werden, um die erste Vermutungsdiagnose zu bestätigen.

Bei allen Erwägungen über den nachfolgenden Stellenwert von zusätzlichen Untersuchungen sollte man jedoch niemals vergessen, dass Untersuchungen per se kein Selbstzweck sind, sondern aus zwei Gründen durchgeführt werden: Erstens möchte man wissen, ob der Patient an einer bestimmten Krankheit leidet oder ob der Gegenstand einen bestimmten Zustand aufweist. Zweitens möchte man aber auch wissen, ob der Zustand behandelbar oder zu verbessern ist. Beide Gründe sind gleich wichtig. Wer nur an den ersten Grund denkt, der befriedigt zwar seine Neugierde, aber er hilft dem Patienten nicht und er kann den Gegenstand nicht reparieren. Wer seinen Untersuchungen einen wirklichen praktischen Wert beimisst, der sollte auch immer den Nachweis erbringen, dass sie tatsächlich nützlich waren. Beide Gesichtspunkte dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.

Wer ein elektronisches defektes Gerät zur Reparatur bringt, das neuwertig 100 € kosten würde, wird sich wahrscheinlich hüten, 40 € für die Fehlersuche und nochmals 40 € für die Reparatur auszugeben. Hier treten Kosten-Nutzen-Betrachtungen in den Vordergrund. Erst wenn wir beide Aspekte gleichermaßen berücksichtigen, können wir ein Untersuchungsverfahren korrekt und fair bewerten. In den folgenden Ausführungen werden wir uns dennoch auf den ersten Aspekt beschränken müssen und nur diskutieren, ob eine Untersuchung sinnvoll ist, um die richtige Diagnose zu stellen. Eine eingehende Diskussion auf die Kosten und den Nutzen würde hier den Rahmen sprengen, weil dazu immer die konkreten Situationen zu berücksichtigen sind. Wir sollten als wesentliche Erkenntnis nicht vergessen, selbst sinnvolle Untersuchungen nur dann anzuwenden, wenn sie uns einen tatsächlichen praktischen Nutzen bringen.

Doch wenden wir uns nun beispielhaft einigen medizinischen Situationen zu, in denen wir eine Diagnostik betreiben, wobei immer unterstellt wird, dass als Grundlage eine Vorgeschichte und eine Untersuchung vorliegen. Wer ohne Informationen vom Patienten eine Herz- oder Laboruntersuchung anordnet und danach feststellt, dass der Patient mit dem Fuß umgeknickt ist, handelt nicht nur fahrlässig, sondern erweist sich schlichtweg als Dummkopf.

In der konkreten Situation stehen wir als Ärzte kranken Menschen mit Beschwerden gegenüber und versuchen den Beschwerden die richtigen Krankheiten zuzuordnen, um sie dann effektiv behandeln zu können. Die meisten uns bekannten Tests oder Untersuchungsverfahren ordnen wir im klinischen Alltag routinemäßig an, ohne dass wir deren Sinnhaftigkeit ernsthaft in Frage stellen. Wir verlassen uns hier auf unsere Erfahrung und auf das, was wir gelernt haben. Wenn wir bei rechtsseitigen Unterbauchschmerzen eine Blinddarmentzündung (Appendizitis) vermuten, dann werden wir wissen wollen, ob Entzündungszeichen im Labor (Erhöhung der weißen Blutkörperchen) nachweisbar sind. Wir werden bei Frauen einen Schwangerschaftstest vornehmen und eventuell eine Ultraschalluntersuchung veranlassen. Vielleicht ist auch eine Computertomographie erforderlich, wenn wir uns nicht ganz sicher sind. Stellt sich dagegen ein ambulanter Patient vor und wir hegen den Verdacht auf eine Venenthrombose mit Lungenembolie, dann bestimmen wir andere Laborwerte und veranlassen eine Computertomographie des Brustkorbs (Thorax-CT). Wenn wir Patienten zu Vorsorgeuntersuchungen schicken, dann empfehlen wir vielleicht eine Mammographie, Darmspiegelung oder einen PSA-Test (Prostata). Wenn wir einen frischen Herzinfarkt befürchten, dann würden wir wiederum den Laborwert Troponin bestimmen. Diese erfolgreichen Reflexe basieren auf klinischer Erfahrung, guten Studien und von Experten formulierten Leitlinien. Sie werden selten hinterfragt – solange sie erfolgreich und wirtschaftlich sind.

Solche Leitlinien existieren für alle Berufsgruppen. Egal ob wir uns um die Spurensicherung am Tatort eines Kapitalverbrechens, um die Beweisführung eines Gerichtsverfahrens, um die Klärung der Vaterschaft, um die Fehlersuche eines Softwarefehlers oder um ein Leck in einem Atomkraftwerk kümmern müssen. Es gab immer schon kluge Köpfe, die solche Probleme durchdacht oder bereits einige Probleme erfolgreich gelöst haben. Diese klugen Köpfe haben ihre Erfahrungen häufig zusammengefasst, damit nicht andere dieselben Fehler wiederholen müssen oder an ähnlichen Problemen scheitern.