Parenterale Ernährung

Indikation

Eine postoperative parenterale Ernährung ist immer dann erforderlich, wenn der Ernährungsbedarf nicht enteral abgedeckt werden kann. Die Indikation zur parenteralen Ernährung hängt demnach davon ab, wie lange der Patient ohne orale Nahrung auskommen muss und ob er diesen Hungerzustand ohne Nachteile toleriert. Da es bisher keine verlässlichen und validen Angaben gibt, um definitiv zu entscheiden, unter welchen genauen Bedingungen eine zusätzliche Alimentation erforderlich ist, hilft man sich im klinischen Alltag mit der empirisch bewährten Feststellung, dass ein normaler Patient nicht parenteral ernährt zu werden braucht, wenn er innerhalb von einer Woche ausreichend oral ernährt werden kann. Wenn also innerhalb dieser Zeitspanne der Kostaufbau gelingt, dann ist eine hypokalorische Ernährung ausreichend, ansonsten wird der Patient isokalorisch ernährt. Bereits nach zwei Wochen können erhebliche Mangelerscheinungen auftreten.

Kontraindikationen

Es gibt auch Kontraindikationen für eine ausreichende Ernährung. Bei einem Schock, bei erhöhtem Serum-Laktat (>3 mmol/l), bei Hypoxie (pO2 <50 mmHg), bei schwerer Azidose oder in der hochakuten Phase einer schweren Erkrankung wird der Patient nicht ernährt.

Energiebedarf

Für den klinischen Alltag hat sich für den Ruheumsatz folgende Formel bewährt: Ruheumsatz = 1 kcal/kg/Stunde. Das sind dann ungefähr 25 kcal/kg KG. Bei sehr mobilen Patienten sind 30 kcal/kg KG erforderlich und bei älteren Patienten nur 20 kcal/kg KG. Dabei wird das reale Gewicht zur Bemessungsgrundlage genommen.

Hypokalorische Ernährung

In den ersten Tagen nach der Operation ist eine Nährstoffzufuhr wenig sinnvoll, weil die Spiegel an Glucose, Amino- und Fettsäuren durch den Postaggressionsstoffwechsel erhöht sind. Hier reicht eine Zufuhr an Flüssigkeit (30–40 ml/kg KG) und Elektrolyten (2–3 mval Natrium und 1,0–1,5 mval Kalium/kg KG) aus, wobei hierzu fertige Elektrolytlösungen infundiert werden. 5-prozentige Glucoselösungen werden hinzugefügt, so dass eine basale Glucosezufuhr von 2–3 g/kg KG täglich gesichert ist. Auf Amino- und Fettsäuren kann bei adäquatem Kostaufbau vollständig verzichtet werden. Ansonsten werden ab dem zweiten postoperativen Tag Aminosäure- und Lipidlösungen zugesetzt.

Isokalorische Ernährung

Wenn aber absehbar ist, dass sich der Kostaufbau deutlich über den 5. postoperativen Tag verzögert, dann sollte der Patient isokalorisch mit einer Mischlösung ernährt werden, die neben Glucose auch Amino- und Fettsäuren enthält. In der Regel werden 25–35 kcal/kg KG appliziert. Die Glucosezufuhr wird auf 4–5 g/kg KG am Tag begrenzt, um eine Hyperglykämie zu vermeiden. Täglich werden 1–2 g/kg KG Fett hinzugefügt. Für den praktischen Gebrauch haben sich auch hier fertige Mischlösungen bewährt. Man beginnt ab dem 2. postoperativen Tag mit der Hälfte der Nährstoffmenge und steigert sie am darauf folgenden Tag auf die volle Höhe. Mit zunehmender oraler Kost, wird die parenterale Ernährung dann rasch reduziert.

Perioperative Ernährung

Sollte sich das Konzept durchsetzen, dass bereits vor der Operation mit der parenteralen Ernährung begonnen wird, dann sollten ungefähr 50 % der benötigten Ruheenergie durch periphere Glucose- und Aminosäurelösungen appliziert werden.

Postoperative Infusionstherapie, nur wenn erforderlich in Abhängigkeit vom Eingriff (70–80 kg KG)

Weitere Flüssigkeit wird mit Elektrolytlösungen zugeführt, die den Elektrolytstatus des Patienten berücksichtigen. Nährstofflösungen mit einer Osmolarität von über 900 mosmol/l dürfen nur über einen zentralvenösen Katheter appliziert werden. Als Zusätze erhalten alle Patienten der Gruppe III täglich 2 Kapseln Eunova®, wenn eine orale Zufuhr möglich ist. Ansonsten werden 1 Amp. Cernevit® als Kurzinfusion und 1 Amp. Addel® in die Mischlösung appliziert. Einmal wöchentlich ist 1 mg Vitamin K zu ergänzen. Die Infusionsgeschwindigkeit von Aminomix 2® sollte maximal 2 ml/kg/Std betragen. Der empfohlene Infusionszeitraum beträgt 14–24 Stunden. Die Serumtriglyzeride sollten unter laufender Infusion kontrolliert werden und weniger als 400mg/dl  betragen.

Mischlösungen

Mischlösungen von Glucose, Aminosäuren und Fetten sind sehr bequem. Bei ihrer Verwendung ist auf die maximale Infusionsgeschwindigkeit zu achten, die ungefähr 2 ml/kg/Std beträgt. Infusomaten sind deshalb bei der Applikation sehr zu empfehlen, damit der Infusionszeitraum von 12–24 Stunden eingehalten wird, denn diese Mischlösungen sind bei Raumtemperaturen von 25 °C nur für ungefähr 36 Stunden chemisch und physikalisch stabil. Wenn Medikamente in die Lösung gegeben werden, dann sollte unbedingt vorher geklärt sein, ob die Medikamente oder Zusätze mit der Lösung verträglich sind.

Sinkt der Blutzucker (BZ) nicht, dann wird die Glucosezufuhr vermindert, weil die Glucoseoxidation auch durch hohe Insulindosen nicht beeinflussbar ist. Manchmal sollte die Glucosezufuhr sogar auf 1–2 g/kg KG reduziert werden. Da ein dauerhaft erhöhter BZ-Spiegel zu erheblicher Komorbidität einschließlich der Critical-Illness-Polyneuropathie führen kann, sind regelmäßige BZ-Kontrollen unerlässlich.

Postoperative Infusionstherapie

nur wenn erforderlich in Abhängigkeit vom Eingriff (70-80 kg KG)

Hypokalorische Ernährung 500-3000 ml Normofundin G-5 (enthält pro Liter: 50 g Glukose, 100 mval Na+, 18 mval K+, 200 kcal)
Normokalorische Ernährung (nur wenn Kostaufbau später als am 7. postop. Tag beginnt oder bei schwer mangelernährten Patienten)
1. Tag 1500-3000 ml Normofundin G-5 (enthält pro Liter: 50 g Glukose, 100 mval Na+, 18 mval K+, 200 kcal)
2. Tag 2000 Nutriflex peri (enthält pro Liter: 50g Glukose, 35 g AS,  50 mval Na+, 25 mval K+)
1000 ml Normofundin G-5 (enthält pro Liter: 50 g Glukose, 100 mval Na+, 18 mval K+, 200 kcal)
ab 3. Tag 2000 ml Aminomix 2® + 500 ml Lipofundin 20% (enthält 240 g Glukose, 100 g AS, 100 g Fett, 100 mval Na+, 60 mval K+)
1000 ml Normofundin G-5 (enthält pro Liter: 50 g Glukose, 100 mval Na+, 18 mval K+, 200 kcal)

Komplikationen

Eine indizierte parenterale Ernährung erhöht nicht die Komplikationen oder Sterblichkeit im Vergleich zu alternativen Ernährungstherapien. Beim mangelernährten Patienten werden die infektiösen Komplikationen durch die parenterale Ernährung verringert. Sie kann aber zu typischen Komplikationen führen wie einer Katheterkomplikation, Hyperglykämie, Refeeding-Syndrom, Hypertriglyzeridämie, hepatischen und metabolischen Komplikationen.

Katheterkomplikationen

Bei Verdacht auf eine Kathetersepsis mit oder ohne Rötung der Einstichstelle wird der Katheter sofort entfernt und die Katheterspitze zur mikrobiologischen Untersuchung eingeschickt. Die Entfernung reicht zur Therapie fast immer aus. Lediglich bei gram-negativen Bakterien sollte für eine Woche und bei einem MRSA für zwei Wochen ein Antibiotikum appliziert werden. Katheterinfektionen sind relativ selten (0,34 Episoden/Katheter und Jahr). Sie können minimiert werden, indem bei der Anlage des zentral-venösen Katheters eine strenge Asepsis eingehalten wird. Blutentnahmen aus dem Katheter sollten vermieden werden. Thrombotische Komplikationen hängen primär von der Verweildauer ab. Vor und nach der parenteralen Ernährung sollte der Katheter mit physiologischer Kochsalzlösung gespült werden. Heparinlösungen sind dazu nicht erforderlich.

Hyperglykämie

Als ein indirektes Maß für die Verträglichkeit der gewählten Ernährung kann der Glucosespiegel herangezogen werden, der keinesfalls über 200 mg/dl liegen sollte. Im postoperativen Verlauf werden Blutzuckerwerte von 80–160 mg/dl (4,4–8,9 mmol/l) angestrebt, weil mit der Hyperglykämie auch die infektiösen Komplikationen zunehmen. Eine zu enge Einstellung des Blutzuckers erfordert allerdings eine sehr engmaschige Überwachung, weil sonst gehäufte Hypoglykämien drohen. Sollte der Glucosespiegel zu hoch sein, dann können 4–6 IE Insulin/Std hinzugefügt werden. Als generelle Regel gilt natürlich, dass mit einer erhöhten Glucoseinfusion auch die Wahrscheinlichkeit der Hyperglykämie steigt. Heutzutage wird die Glucosezufuhr auf 3–4 mg/kg/min beschränkt, um hyperglykämische Komplikationen zu vermeiden.

Refeeding-Syndrom

Wird bei einem schwer mangelernährten Patienten eine parenterale Ernährung begonnen, dann kann das Refeeding-Syndrom auftreten. Es kann zu einer Volumenüberladung, Ödembildung und Herzinsuffizienz, zu Elektrolytstörungen oder ausgeprägter Glucoseintoleranz führen. Das Syndrom bildet sich innerhalb weniger Tage nach Beginn der Ernährungstherapie aus, so dass diese Patienten überwacht werden sollten. Auf eine Hypokaliämie und Hypophosphatämie sollte geachtet werden. Thiamin, Kalium, Magnesium und Phosphat sollten substituiert werden. Das Syndrom kann vermieden werden, indem die Zufuhr zunächst auf 800 ml beschränkt wird. Die Glucosezufuhr sollte 2–3 g/kg KG nicht überschreiten. Eine Gewichtszunahme von mehr als 1,5 kg pro Woche dürfte eher auf einer Überwässerung beruhen.

Hypertriglyzeridämie

Ein erhöhter Triglyzeridspiegel tritt bei 25–50 % aller Patienten mit einer parenteralen Ernährung auf. Da ein extrem hoher Spiegel von >1000 mg/dl (11,4 mmol/l) Mikrozirkulationsstörungen und eine Pankreatitis induzieren kann, sollte die fettreiche Ernährung vorübergehend reduziert werden.

Hepatische Komplikationen

Nach einigen Wochen lässt sich bei fast allen parenteral ernährten Patienten Sludge in der Gallenblase nachweisen. Ein Fettleber, Fettleberhepatitis und Cholestase treten nach langfristiger Ernährung relativ häufig auf.