Ernährung – Physiologie

Die perioperative Versorgung des Patienten mit Flüssigkeit und Nährstoffen ist von größter Bedeutung, denn die Befindlichkeit des Patienten und der gesamte Erfolg hängen auch von der optimalen Nutrition des Patienten ab. Bedauerlicherweise wird den Ernährungsgrundlagen zu wenig Beachtung geschenkt, so dass viele Patienten im Krankenhaus nicht ausreichend ernährt werden und mangelernährt oder mit ungewolltem Gewichtsverlust das Krankenhaus verlassen. Einige Krankenhäuser sind deshalb dazu übergegangen, spezielle Teams zur parenteralen Ernährung zu implementieren.

Eine gute Ernährung setzt voraus, dass der Organismus mit ausreichend Energie, Nähr- und Zusatzstoffen versorgt wird. Dabei wird der Bedarf zunächst nach den Bedürfnissen eines Gesunden ausgerichtet und danach betrachtet, wie die Anforderungen bei der Krankheit modifiziert werden sollten.

Energiezufuhr

Die erforderliche Energiezufuhr richtet sich nach dem Energieumsatz. Sie sollte so groß sein, dass die körpereigenen Energiereserven weder zu- noch abnehmen. Die dafür erforderliche Energie setzt sich aus drei Komponenten zusammen: dem Ruheumsatz (resting energy expenditure–REE), der Energie, die für die Metabolisierung der Nährstoffe erforderlich ist, und der Energie, die für die körperliche Aktivität bereitgestellt werden muss. Im klinischen Alltag wird in erster Linie der Ruheumsatz gemessen und die anderen Anteile nur geschätzt. Der Ruheumsatz kann unter standardisierten Bedingungen durch die indirekte Kalorimetrie bestimmt werden, indem in der Exspirationsluft die O2- und CO2-Konzentrationen gemessen werden.

Der Ruheumsatz wird am häufigsten durch Formeln berechnet. Die bekannteste Formel ist die von Harris und Benedict. Selbst mit dieser komplexen Formel kann der Ruheumsatz nur relativ grob geschätzt werden, so dass Abweichungen von ±20 % zum tatsächlichen Ruheumsatz möglich sind. Am Einfachsten wird der Ruheumsatz in Abhängigkeit vom Alter und Körpergewicht geschätzt, wobei immer das reale Körpergewicht berücksichtigt wird und nicht das optimale. Im jungen Erwachsenalter vom 20–30 Lj. wird ein Ruheumsatz von 25 kcal/kg KG unterstellt, vom 30–70 Lj. ein etwas verminderter von 22,5 kcal/kg und mit einem höheren Alter (>70 Lj.) werden nur noch 20 kcal/kg KG angesetzt. Da alle Berechnungsformeln relativ ungenau sind, sollte man immer in Erinnerung bewahren, dass größere Abweichungen möglich sind.

Gesamtenergie

Zur Gesamtenergie gehört neben dem Ruheumsatz auch noch die Energie zur Metabolisierung der Nährstoffe. Sie entspricht ungefähr zehn Prozent des Ruheumsatzes und bleibt deshalb häufig unberücksichtigt. Bei einer Sepsis, schwerem Trauma oder Verbrennungen nimmt diese Komponente aber deutlich zu. Werden verringert oder vermehrt Hormone oder Zytokine freigesetzt, dann verändert sich der Metabolismus, mit einem erhöhten oder manchmal sogar reduzierten Energiebedarf. Die dritte und für Gesunde wichtigste Komponente der Energiebilanz ist die körperliche Aktivität. Beim aktiven Gesunden beträgt sie meistens deutlich mehr als der Ruheumsatz. Beim Kranken ist die Situation dagegen anders, denn hier entspricht die erforderliche Gesamtenergie weitgehend dem Ruheumsatz. Vergessen wir nicht, dass Kranke körperlich kaum aktiv sind und die Nahrung meistens bereits aufbereitet ist. Selbst bei elektiven Eingriffen und rascher Mobilisation dürfte es ausreichen, den Ruheumsatz als ungefähres Maß für die erforderliche Gesamtenergie anzusetzen.

Dynamischer Energiebedarf

Es ist nicht möglich, den Ruheumsatz bzw. den Gesamtenergiebedarf bei schweren Krankheitsbildern durch eine einfache fixe Formel verlässlich abzuschätzen. Der Energiebedarf kann sich während des Krankheitsverlaufes erheblich ändern. Studien legen eine 40- bis 80-prozentige Erhöhung des Ruheumsatzes nahe. Offensichtlich nimmt der Energiebedarf in den ersten Tagen zu, erreicht für einige Tage ein Maximum und fällt dann über Wochen und Monate langsam ab. Das Maximum wird häufig zwischen dem vierten und zehnten Tag nach dem Unfall, der Verbrennung oder der Sepsis erreicht. Direkt nach dem Geschehen ist aber nicht mit einer Steigerung des Energiebedarfes zu rechnen, sondern eher mit einer Verringerung. Auch bei einer massiven akuten Verschlechterung (z.B. septischen Schock) einer Krankheit vermindert sich der erhöhte Energiebedarf zunächst wieder. Der Energiebedarf ist somit keine feste Größe, sondern entwickelt eine Dynamik, die zu berücksichtigen ist, um katabole Zustände zu vermeiden. Da es keinen klinischen Parameter gibt, um den tatsächlichen Energiebedarf verlässlich abzuschätzen, ist die Ernährung immer wieder kritisch zu hinterfragen.

Isokalorische Ernährung. Wenn die Energiezufuhr genau der umgesetzten Energie entspricht, sprechen wir von einer isokalorischen Ernährung. Mit dieser Energiezufuhr erhalten wir den Status quo. Von einer hypokalorischen Ernährung sprechen wir, wenn die Energiezufuhr geringer ist als der Umsatz. Wir führen bei dieser Ernährung demnach zu wenige Nährstoffe zu, so dass der Körper eigene Reserven aufbrauchen muss. Wird mehr Energie zugeführt als aktuell erforderlich, dann sprechen wir von einer hyperkalorischen Ernährung bzw. Hyperalimentation. Diese Ernährungsweise ist erforderlich, wenn der Patient eine Mangelernährung aufweist und diese beseitigt werden soll.

Hyperkalorische Ernährung

Frühere Ernährungsstrategien bei kritisch Kranken waren darauf ausgerichtet, die Patienten durch zusätzliche Energieträger über das isokalorische Maß hinaus zu ernähren. Bei dieser hyperkalorischen Ernährung wurde eine Energiezufuhr von 40–60 kcal/kg KG angestrebt, um eine positive Stickstoffbilanz zu erreichen. Diese Konzepte sind heute verlassen, weil sich tendenziell eine höhere Komplikationsrate und Sterblichkeit zeigte. Möglicherweise war die mit der Hyperalimentation einhergehende Hyperglykämie für die vermehrten Komplikationen verantwortlich. Von den Experten wird heute nur noch eine Ernährung von 1,2fachen des aktuellen Ruheumsatzes angestrebt. Bei gleichzeitiger Mangelernährung wird die Zielvorgabe auf das 1,5fache erhöht.

Ernährungsziel

Bei jedem Patienten sollte ein Ernährungsziel festgelegt werden. Dazu sind der Ernährungszustand und das Krankheitsbild zu berücksichtigen. Bei immobilen Patienten ohne erkennbare Zunahme des Ruheumsatzes ist eine Energiezufuhr des 1- bis 1,2fachen des Ruheumsatzes ausreichend. Liegt zugleich eine Mangelernährung vor, wird die Zufuhr minimal auf das 1,1- bis 1,3fache gesteigert. Kritisch kranke Patienten sollten im akuten Stadium keinesfalls hyperkalorisch ernährt werden. Eine hypokalorische Ernährung scheint in dieser Situation sogar vorteilhafter zu sein. Erst nach Abklingen der akuten Phase sollte die Energiezufuhr erhöht werden.