Schilddrüsenkarzinom

Jeder Knoten bzw. jede Schwellung ist ein Tumor, der abklärungsbedürftig ist. Schilddrüsenkarzinome sind mit 1:30000 relativ selten.

Klinik

Einer großen Zahl von Knotenträgern steht somit eine kleine Zahl von Malignomträgern gegenüber. Um die Karzinome nicht zu übersehen und zugleich frühzeitig zu erkennen, ist eine rationelle Diagnostik erforderlich, die sich nach klinischen Gesichtspunkten richtet. So ist jeder solitäre Knoten und jeder dominante Knoten in einer Knotenstruma verdächtig. Eine feste oder gar derbe Konsistenz mit und ohne zervikale Lymphadenopathie ist richtungsweisend. Tritt ein Knoten rasch bei jungen Menschen (<20 Jahre) oder nach einer Bestrahlung dieser Region auf, dann sollte ein Malignom unbedingt ausgeschlossen werden. Die eher typischen Zeichen wie Heiserkeit oder Horner-Syndrom weisen bereits auf einen fortgeschrittenen Tumor hin.

Diagnostik

Den verdächtigen Befunden können regressive Knoten, Adenome, Zysten, Abszesse oder Malignome zu Grunde liegen. Die weitere Diagnostik umfasst deshalb primär die Sonographie, die bereits einige Differentialdiagnosen ausschließen oder eingrenzen kann. Verdächtige Befunde können direkt unter sonographischer Kontrolle mit einer Feinnadelaspirationszytologie (FAC) abgeklärt werden. Der FAC-Befund ist nicht immer eindeutig und bei verdächtigen Befunden nur bei einem Malignitätsnachweis sicher. Eine Szintigraphie ist nur bei Verdacht auf autonome Adenome oder einer hyperthyreoten Stoffwechsellage erforderlich.

Malignomverdacht

Alle Untersuchungsbefunde werden daraufhin interpretiert, ob ein Malignom vorliegen könnte. Bei allen Patienten mit einem hochgradig verdächtigen FAC-Befund bzw. höhergradig malignitätsverdächtigen Zellatypien wird die Operationsindikation gestellt. Beim zytologischen Nachweis einer follikulären oder onkozytären Neoplasie sollte ebenfalls eine Operation klären, ob nicht doch ein Karzinom vorliegt, denn follikuläre und onkozytäre Adenome können mit der FAC nicht eindeutig von Malignomen unterschieden werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Malignoms beträgt in diesen Situationen bis zu zehn Prozent. Wird die operative Intervention abgelehnt, weil ein Malignom doch eher unwahrscheinlich ist, dann sollte nach drei Monaten unbedingt eine Kontrolluntersuchung veranlasst werden.

Mesenchymale Tumoren sind in der Schilddrüse sehr selten. Die meisten benignen Tumore sind follikuläre Adenome, die aus dem Follikelepithel entstehen. Sie werden von einer dünnen Kapsel umgeben und grenzen sich dadurch gut vom übrigen Parenchym ab. Sie zeigen histologisch ein weitgehend homogenes Bild. Sie sind nur selten hyperfunktionell und werden dann „toxisches“ Adenom genannt. Eingeschränkte Resektionen sind hier hinreichend.

Malignome der Schilddrüse sind überwiegend Karzinome. Allerdings treten auch alle anderen bekannten Malignome in seltenen Fällen in der Schilddrüse auf. Die Karzinome werden eingeteilt in papilläre, follikuläre, anaplastische und medulläre Karzinome.

Papilläre Karzinome

. Papilläre Karzinome sind häufig (50–80 %). Sie treten bevorzugt bei Frauen auf, wachsen häufiger multizentrisch (20 %) und metastasieren zunächst lymphogen in zervikale und später auch mediastinale Lymphknoten. Erst später findet eine hämatogene Aussaat statt. Im frühen Stadium besteht eine gute Prognose. Lediglich bei großen Tumoren, mit zunehmendem Alter, Multizentrizität und bestehender Metastasierung verschlechtert sie sich.

Follikuläre Karzinome

Follikuläre Karzinome sind dagegen seltener (5–15 %). Sie treten häufiger als kalte Knoten in Erscheinung und die Patienten sind im höheren Lebensalter. Die Tumoren metastasieren bevorzugt hämatogen in Lunge, Knochen und Leber. Follikuläre Schilddrüsenkarzinome unterscheiden sich hauptsächlich darin, ob histologisch noch eine Kapsel nachweisbar ist oder nicht. Histopathologisch werden sie in drei Gruppen eingeteilt: in minimal-invasive gekapselte Tumoren ohne oder mit limitierter Gefäßinvasion (< vier Gefäßeinbrüche), in gekapselte Tumoren mit mehr als drei Gefäßeinbrüchen und in weit invasiv wachsende Tumore mit grob invasivem Wachstum oder ohne sichtbare kapsuläre Abgrenzung. Eine prognostisch besonders günstige Frühform ist die erste Gruppe der minimal invasiven follikulären Karzinome, denn hier treten so gut wie nie Metastasen auf. Eine begrenzte Resektion (Hemithyreoidektomie) wird von einigen Chirurgen empfohlen. Eine systematische Lymphadenektomie ist als Regeleingriff nicht erforderlich, schon gar nicht bei den günstigen Formen. Lediglich bei den fortgeschrittenen Befunden sollten sie erwogen werden. Die dritte Gruppe hat ein relativ schlechte Prognose und ähnelt manchmal den eher undifferenzierten Formen. Bei den fortgeschrittenen Befunden ist eine postoperative Radiojodtherapie erforderlich. Bei der Frühform kann auf sie verzichtet werden.

TNM-Stadien der differenzierten Karzinome

Das T-Stadium entspricht der Tiefenausdehnung des Tumors.

T1-Stadium Tumor ist auf die Schilddrüse begrenzt (< 2cm)
T2-Stadium Tumor ist auf die Schilddrüse begrenzt (2-4 cm)
T3-Stadium Tumor ist auf die Schilddrüse begrenzt (>4 cm)
T4-Stadium T4a -Infiltration in das Subkutangewebe, Larynx, Trachea, Ösophagus, Recurrens
T4b – Prävertebrale Faszie, mediastinale Gefäße, A. carotis

Das N-Stadium entspricht der Ausbreitung entlang der Lymphknoten.

N0-Stadium Keine Lymphknotenmetastasen
N1-Stadium Regionäre Lymphknotenmetastasen
N1a – Level IV
N1b – andere regionäre

Mindestens 6 untersuchte Lymphknoten

Das M-Stadium entspricht der Fernmetastasierung.

M0-Stadium Keine Fernmetastasen
M1-Stadium Fernmetastasen

Spezielle Gegebenheiten werden in der TNM-Formel durch Suffixe angegeben:
c – Klinisches Stadium
p – histologisch gesichertes Stadium
y – Stadium während oder nach onkologischer Vorbehandlung
r  – Stadium eines Rezidivtumors
m – multifokale Läsionen

Undifferenzierte Karzinome

Neben den genannten, relativ gut differenzierten Karzinomen kommt auch ein undifferenziertes bzw. anaplastisches Karzinom vor, das histologisch fast wie ein Sarkom aussieht. Es tritt im höheren Lebensalter und häufiger bei Frauen auf. Die Anamnese ist häufig kurz, das Wachstum rasant und die Stoffwechsellage euthyreot. Die Prognose ist sehr schlecht, weil sich der Tumor rasch lymphogen und hämatogen ausbreitet. Die meisten Patienten leben nur einige Monate nach der Diagnosestellung.

TNM-Stadien der differenzierten Karzinome

Das T-Stadium entspricht der Tiefenausdehnung des Tumors.

T1-Stadium Tumor ist auf die Schilddrüse begrenzt (< 2cm)
T2-Stadium Tumor ist auf die Schilddrüse begrenzt (2-4 cm)
T3-Stadium Tumor ist auf die Schilddrüse begrenzt (>4 cm)
T4-Stadium T4a -Begrenzt auf die Schilddrüse
T4b -Ausbreitung jenseits der Schilddrüsenkapsel

Das N-Stadium entspricht der Ausbreitung entlang der Lymphknoten.

N0-Stadium Keine Lymphknotenmetastasen
N1-Stadium Regionäre Lymphknotenmetastasen
N1a – Level IV
N1b – andere regionäre

Mindestens 6 untersuchte Lymphknoten

Das M-Stadium entspricht der Fernmetastasierung.

M0-Stadium Keine Fernmetastasen
M1-Stadium Fernmetastasen

Spezielle Gegebenheiten werden in der TNM-Formel durch Suffixe angegeben:
c – Klinisches Stadium
p – histologisch gesichertes Stadium
y – Stadium während oder nach onkologischer Vorbehandlung
r – Stadium eines Rezidivtumors
m – multifokale Läsionen

Medulläre Karzinome

Zur vierten Gruppe der Schilddrüsenkarzinome gehört das medulläre Schilddrüsenkarzinom bzw. das C-Zellkarzinom, das seinen Ausgangspunkt von den C-Zellen nimmt. Auch wenn 75 bis 80 Prozent dieser Karzinome sporadisch auftreten, sollte immer mit einer familiären Häufung gerechnet werden, denn das C-Zellkarzinom kann eine Manifestation der multiplen endokrinen Neoplasie (MEN) vom Typ II a oder b sein. Die Hälfte der Patienten mit einem medullären Karzinom weisen zum Zeitpunkt der Diagnose bereits Lymphknotenmetastasen im zervikalen und mediastinalen Bereich auf. Bei vielen, aber nicht allen Patienten kann ein erhöhter Kalzitonin- und CEA-Spiegel nachgewiesen werden. Bei allen hereditären Formen ist der Kalzitoninspiegel typischerweise nach einer Stimulation mit Pentagastrin erhöht, während er bei den Gesunden normal bleibt. Außerdem ist Kalzitonin als Marker im Rahmen der Tumornachsorge wichtig. Bei allen medullären Karzinomen ist eine exakte Familienanamnese zu erheben. Manchmal scheint der Tumor sporadisch aufzutreten, erweist sich aber bei einer Genanalyse (RET-Mutationen in den FMTC/MEN-2-spezifischen Kodons) als familiär. Bei verdächtigen Befunden ist deshalb eine Genanalyse angeraten.

Malignomverdacht

Hinweisend auf ein Schilddrüsenkarzinom ist ein suspekter Knoten im jungen (<20 J.) oder höheren (>60 J.) Lebensalter. Die meisten Tumoren sind symptomlos und werden nur im Rahmen einer Untersuchung wegen eines Knotens als verdächtig eingestuft. Bei fast 25 % der Fälle treten zuerst Lymphknotenmetastasen oder Fernmetastasen klinisch in den Vordergrund und erst danach wird das Schilddrüsenkarzinom entdeckt. Bei jedem Verdacht auf ein Schilddrüsenkarzinom ist neben der klinischen Untersuchung eine Sonographie und Bestimmung der Schilddrüsenfunktion erforderlich. Weder die Szintigraphie noch die Messung des Thyreoglobulins eignen sich zur definitiven Differenzierung zwischen benignen und malignen Befunden, so dass ihre Anforderung begründet werden sollte.

Operationsindikation

Jeder verdächtige Knoten sollte zur endgültigen histologischen Begutachtung reseziert werden. Bei hochgradigem Malignomverdacht wird der Schilddrüsenlappen einschließlich Lymphadenektomie des zentralen Kompartiments entfernt.

Operationsvorbereitung

Zur Operationsvorbereitung gehört neben den Staging-Untersuchungen (Röntgen-Thorax, Sonographie der Leber), die Kontrolle der Stimmbandfunktion und die Messung des Kalzium- und Kalzitonin-Spiegels. Bei ausgedehnten Tumoren (T4-Tumoren) oder mediastinalen Tumoren sollte durch eingehende bildgebende Diagnostik (MRT) die Ausdehnung präoperativ bestimmt werden.

Operation

Bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen wurde früher immer eine Thyreoidektomie mit Ausräumung der Lymphkoten im zentralen Kompartiment empfohlen. Heute werden frühe papilläre Karzinome mit einem Durchmesser kleiner als ein Zentimeter und minimal-invasive follikuläre Karzinome nicht mehr so radikal reseziert. Von einigen wird zwar auch hier eine Thyreoidektomie empfohlen, andere sehen eher eine Indikation zur Hemithyreoidektomie mit kontralateraler subtotaler Resektion. Wird intraoperativ im zentralen Kompartiment eine Lymphknotenmetastase vermutet, wird natürlich das zentrale Kompartment entfernt. Bei verdächtigen Befunden im lateralen Kompartment wird auch dieses reseziert. Bei der lateralen Dissektion wird der M. sternocleidomastoideus angeschlungen und nach lateral verlagert. V. jugularis, A. carotis, N. vagus, N. hypoglossus und N. accessorius werden freipräpariert, um das gesamte Fett- und Lymphgewebe von kranial bis zur V. subclavia zu entfernen. Bei sehr ausgedehnten Befunden ist selten die Sternotomie erforderlich. Die gleichzeitige Resektion von Teilen des Ösophagus und der Trachea ist die extreme Ausnahme. Fernmetastasen werden nur dann entfernt, wenn sie solitär auftreten oder lebenswichtige Funktionen einschränken.

Anaplastischer Tumor

Bei einem anaplastischen Tumor ist die rasche Progredienz und relativ schlechte Prognose zu bedenken. Angestrebt wird immer die vollständige Entfernung des Primärtumors, um eine spätere Kompression von Trachea und Ösophagus zu vermeiden. Dazu werden die gesamte Schilddrüse und die geraden Halsmuskeln entfernt. Bei größeren Tumoren wird die Resektionslinie bedarfsgerecht erweitert. Eine externe Bestrahlung mit bis zu 50–60 Gy in Mehrfeldertechnik sollte postoperativ erwogen werden.

Medulläres Karzinom

Die sorgfältige Thyreoidektomie mit subtiler Lymphknotendissektion sind beim medullären Karzinom immer angezeigt, auch wenn Lymphknoten- oder Fernmetastasen vorliegen, denn die nicht resektablen Metastasen wachsen relativ langsam. Da die Tumoren kein Jod aufnehmen, ist postoperativ keine Radiojodtherapie sinnvoll. Als primärer Eingriff wird grundsätzlich eine Thyreoidektomie mit Ausräumung des zentralen Kompartiments vorgenommen. Bei Lymphknotenmetastasen wird das ipsilaterale Kompartiment ebenfalls ausgeräumt. Besteht bereits präoperativ der Verdacht auf mediastinale Metastasen, dann wird über eine Sternotomie auch das mediastinale Kompartiment ausgeräumt. Selbst fortgeschrittene Tumoren, die gut resektabel sind, sollten so weit wie möglich entfernt werden.

Malignomverdacht

Wurde das Malignom präoperativ nicht eindeutig durch eine FAC gesichert, dann wird eine Hemithyreoidektomie mit Lymphadenektomie des zentralen Kompartiments auf der betroffenen Seite empfohlen. Liegen überhaupt keine Befunde vor und ist der Befund makroskopisch suspekt, kann eine Schnellschnittuntersuchung die Situation möglicherweise klären. Bei einer follikulären Neoplasie gestaltet sich die Schnellschnittdiagnose aber schwierig. Im Zweifelsfall wird die suspekte Seite vollständig reseziert.

Malignom in späterer Histologie. Manchmal findet sich überraschenderweise ein Malignom im histologischen Präparat. Eine Nachresektion wird dann innerhalb von fünf bis sieben Tagen angestrebt. In diesem Zeitintervall ist die erneute Operation noch mit einem relativ geringen Risiko für den N. recurrens und die Epithelkörperchen durchführbar.

Radiojodtherapie

Postoperativ schließt sich bei papillären und follikulären Tumoren eine Radiojodtherapie an. Lediglich bei papillären T1-Tumoren oder minimal-invasiven follikulären Karzinomen wird auf den adjuvanten Effekt verzichtet. Beim anaplastischen und medullären Karzinom ist eine Radiojodtherapie nicht sinnvoll, weil das Gewebe kein Jod speichert. Als einzige wesentliche Kontraindikation der Radiojodtherapie gilt die Schwangerschaft, die immer definitiv ausgeschlossen werden muss. Bei einer geplanten Radiojodbehandlung darf der Patient postoperativ keine Schilddrüsenhormone oder andere jodhaltige Substanzen (Medikamente, Kontrastmittel, Jodsalz) erhalten. Das basale TSH sollte mindestens 30 mU/l betragen.

Nachbehandlung

Nach einer ausgedehnten Thyreoidektomie lässt sich bei fünf bis 20 Prozent der Patienten eine temporäre Rekurrensparese nachweisen, die in ein bis zehn Prozent der Fälle verbleibt. Ein Hypoparathyreoidismus wird bei bis zu 30 Prozent beschrieben. Im Rahmen einer Nachsorge wird versucht, alle Folgeerscheinungen optimal zu therapieren und lokoregionäre Rezidive oder Metastasen frühzeitig zu diagnostizieren. Bei differenzierten Karzinomen wird dazu neben der Sonographie das Thyreoglobulin bestimmt und beim medullären das Kalzitonin und CEA. Lokoregionäre Rezidive treten auch nach unvollständiger Resektion der Schilddrüse oder Lymphknoten auf. Sie können zwar erneut entfernt werden, aber die Komplikationsrate ist dabei deutlich höher. Bei einem mediastinalen Befall wird bei jodspeichernden Befunden primär die Radiojodbehandlung empfohlen, ansonsten die Sternotomie.

Postoperative Behandlung

Mit Ausnahme der Patienten nach Hemithyreoidektomie eines papillären Karzinoms im Stadium pT1 oder mit einem minimal-invasiven follikulären Karzinom erhalten alle übrigen Patienten mit einem papillären oder follikulären Karzinom unabhängig vom TNM-Stadium postoperativ eine Radiojodtherapie, die ungefähr vier Wochen nach der Operation beginnt. Bis zur Radiojodtherapie sollte jede Jodkontamination (z. B. Röntgenkontrastmittel) unbedingt vermieden werden. Jede Gabe von L-Thyroxin ist zu unterlassen. Bis 14 Tage vor der Radiojodtherapie werden 100 µg Trijodthyronin appliziert. Beim medullären oder anaplastischen Karzinom wird ab dem 2. postop. Tag 2 µg/kg KG L-Thyroxin pro Tag substituiert (150-200 µg).