Inkontinenz

Kontinenz. Die Kontinenz ist das Produkt eines komplexen Funktionsablaufes, bei dem ZNS, Kolon, Rektum, Anus und Teile des Beckens harmonisch und koordiniert zusammenarbeiten. Eine schlechte Kontinenzleistung wird manchmal vom Patienten als Inkontinenz bewertet. In einigen Fällen ist diese subjektive Einschätzung nicht zweifelsfrei objektivierbar. So empfinden sich objektiv inkontinente Patienten manchmal als ausreichend kontinent und Patienten mit geringen Veränderungen fühlen sich als absolut inkontinent. Die wichtigsten Informationen zur Einschätzung der Kontinenz werden deshalb durch die Anamnese und klinische Untersuchung gewonnen. Alle weiteren Untersuchungen, auch die Manometrie, modifizieren diese Beurteilung. Keinesfalls werden primär nur die objektiven manometrischen Befunde berücksichtigt und allein aufgrund der numerischen Befunde eine Diagnose oder gar Operationsindikation gestellt.

Ursachen

Zur Inkontinenz führen am häufigsten sensorische, muskuläre oder neurogene Schäden, die auch kombiniert vorliegen können. Bei einer sensorischen Inkontinenz liegt fast immer ein Schaden am Anoderm vor. So kann das Anoderm ausgestülpt sein oder nach einem operativen Eingriff fehlen. Relativ häufig tritt sie nach ausgedehnten Resektionen beim Hämorrhoidalleiden auf. Muskuläre Schäden werden meistens bei der Geburt oder nach operativer Revision von perianalen Fisteln verursacht. Seltener sind sie traumatischer Genese. Manchmal entstehen muskuläre Schäden auch bei rezidivierenden septischen Prozessen wie beim Morbus Crohn, die das gesamte Perineum erfassen und den Sphinkter progredient zerstören können. Die neurogenen Schäden betreffen entweder degenerative, polyneuropathische oder traumatische Veränderungen an den Nn. pudendi bzw. im Sakralmark (S2–S3).

Klinik

Die Leidensgeschichte des Patienten ist für den Grad der Inkontinenz und die verminderte Lebensqualität hinweisend. Am Einfachsten wird die Inkontinenz danach eingeteilt, ob der Patient festen oder flüssigen Stuhl oder Luft kontrollieren kann. Für die Gesamtbeurteilung ist aber auch wichtig, ob der Patient Vorlagen trägt, wie häufig die inkontinenten Episoden sind und welche Maßnahmen er ergreift, um sie zu unterbinden. Erst eine umfassende Anamnese kann die Einwirkung der Inkontinenz auf die Lebensqualität erfassen.

Diagnostik

Bei der klinischen Untersuchung weist ein klaffender Anus auf eine diffuse Schädigung hin. Ist der Anus dagegen asymmetrisch verzogen, liegt eine lokale Schädigung vor. Die rektale Untersuchung gibt Aufschluss über den Ruhetonus und die Willkürkontraktion. Ein EMG oder die Bestimmung der Nervenleitfähigkeit der Nn. pudendi grenzen eine neurogene Schädigung ab. Durch die Endosonographie kann der muskuläre Schaden beurteilt werden.

Therapieoptionen

Die Therapie richtet sich nach den vermeintlichen Ursachen. In den meisten Fällen ist eine effektive Beseitigung der Ursache oder Umkehrung des pathogenetischen Prozesses nicht möglich. Sie sollte aber immer versucht werden. Zunächst wird eine symptomatische Behandlung eingeleitet, um die Passage zu verzögern, den Stuhl zu festigen und das Stuhlvolumen zu optimieren. Dabei sollten die bisherigen Stuhlgewohnheiten berücksichtigt werden. Manchmal liegt eine Beckenbodeninsuffizienz oder sogar eine Obstipation der Inkontinenz zu Grunde. Der optimalen Stuhlregulation kommt in diesen Fällen eine besonders große Bedeutung zu.

Sensorische Inkontinenz

Geht das sensible Anoderm verloren, dann tritt eine sensorische Inkontinenz mit Stuhlschmieren und unkontrolliertem Abgang von Flatus und flüssigem Stuhl auf. Durch eine Analplastik mit sensibler Haut lässt sich dieser Zustand zum Teil verbessern.

Motorische Inkontinenz

Wird der Sphincter ani internus geschädigt oder entfernt, dann reduziert sich der Ruhetonus des Patienten. Bei einem Defäkationsreiz kann der Patient häufig die Kontinenz für kurze Zeit aufrechterhalten, indem er die willkürliche Muskulatur anspannt. Da diese aber nur für kurze Zeit aktiviert werden kann, ist der Patient gezwungen, innerhalb dieser Zeit eine Toilette aufzusuchen. Eine Stärkung des Tonus der willkürlichen Muskulatur durch ein intensives Training der Beckenbodenmuskulatur ist manchmal ausreichend. Ist der Tonus des Sphinkters bei einem aktiven Patienten aber immer noch nicht ausreichend, sollte zusätzlich eine dauerhafte sakrale Stimulation des Sphincter ani externus über einen Schrittmacher erwogen werden.

Therapieoptionen

Bei einem primär muskulären Defekt mit bestehender muskulärer Restfunktion, sollte ein Behandlungsversuch zur Kräftigung des Sphinkters versucht werden. Hierzu bietet sich sowohl die Elektrostimulation, das Biofeedback und konventionelle Beckenbodentraining an. Besonders bei Patienten mit einer Beckenbodeninsuffizienz kann solch eine konservative Therapie erfolgreich sein und die Inkontinenz soweit verbessern, dass der Lebensqualitätsgewinn zufriedenstellend ist.

Operationsindikation

Erst wenn konservative Therapien versagen, sollte eine Operation in Erwägung gezogen werden.

Operation

Bei einem partiellen Defekt des Sphinkters, der anterior häufig durch eine Episiotomie verursacht wurde, gilt heute eine (anteriore) Sphinkterplastik als Therapie der Wahl. Bei diesem Eingriff wird der Sphinkter über 180 Grad präpariert, die Narbe durchtrennt und der Sphinkter überlappend mit nicht-resorbierbarem Nahtmaterial genäht. Die Ergebnisse sind zufriedenstellend bis enttäuschend. Sie hängen aber auch davon ab, ob postoperativ eine Infektion auftritt und wie groß der gesamte Defekt war, denn bei einem stark retrahierten Muskel, ist der Erfolg eher unwahrscheinlich, und nach einer Infektion treten häufiger Nahtbrüche auf. Vor einer Sphinkterplastik wird überprüft, ob die Nn. pudendi nicht geschädigt sind. Vielfach wird bei den Operationen nur eine relative Stenose erzeugt, die lediglich als Erhöhung des passiven Widerstandes anzusehen ist.

Sakrale Elektrostimulation

Wenn die Sphinkterplastik nicht erfolgreich war, dann kann auf eine direkte sakrale Stimulation des Sphinkters ausgewichen werden. Bei der Stimulation werden Elektroden in die Foramina sacralis eingelegt und mit einem Schrittmacher stimuliert. Dadurch kann bei funktionstüchtigem N. pudendus und normaler Muskulatur der Ruhetonus deutlich ansteigen und sich die Kontinenz signifikant verbessern. Diese sakrale Stimulation ist heute die Methode der Wahl. Zuerst wird durch eine Teststimulation überprüft, ob sich die Kontinenz relevant verbessert, und erst dann der Schrittmacher endgültig implantiert.

Gracilisplastik

Wenn Nerven und Muskeln geschädigt sind, dann ist eine dynamisierte Gracilisplastik indiziert. Dazu wird der M. gracilis an der medio-dorsalen Seite des Oberschenkels disseziert, am Pes anserinus abgelöst, durch einen subkutanen Tunnel um den Anus geschlungen und die Sehne am Periost oder der Haut fixiert. Dieser Muskel wird durch den Schrittmacher nach einer Trainingsphase dauerhaft tonisiert und dadurch der Ruhetonus deutlich verbessert. Besonders bei Patienten mit angeborenen Fehlbildungen und nicht-korrigierbaren Schäden am Muskel führt die Gracilisplastik zu einer deutlichen Verbesserung der Kontinenz. Leider sind bei allen Implantationen die Kosten für den Schrittmacher immer noch sehr hoch.