Dünndarm – Anatomie und Physiologie
Anatomie
Der Dünndarm beginnt am Duodenum und endet nach ungefähr 3,5–4,0 m an der Ileozökalklappe, der Bauhin-Klappe. Sie stülpt sich etwas in das Coecum hinein und fungiert so als Ventil, das einem erhöhten Druck von bis zu 40 mmHg standhalten kann. Dieses Ventil hilft, die bakterielle Besiedlung des Ileums (ca. 106 Keime/ml) im Vergleich zum Kolon (1012 Keime/ml) deutlich zu reduzieren. Die proximalen zwei Drittel des Dünndarmes werden dem Jejunum und das distale Drittel dem Ileum zugeordnet.
Gefäßsystem
75 bis 90 Prozent des zuströmenden Blutes versorgt die Mukosa und nur acht bis 20 Prozent die Muskelschicht. Arteriell wird der Dünndarm ausschließlich über die A. mesenterica superior versorgt, auch wenn Gefäße zum Strömungsgebiet des Truncus coeliacus und der A. mesenterica inferior anastomosieren. Der gesamte Dünndarm wird von kräftigen Jejunal- oder Ilealarterien versorgt, die sich im Mesenterium aufteilen, so dass selbst bei der Ligatur größerer Gefäße häufig eine ausreichende Blutversorgung über ein Arkadensystem aufrechterhalten bleibt. Die wichtigen intramuralen Gefäße befinden sich in der Submukosa und nicht in der Muscularis propria. Selbst bei Unterbindung der darmnahen Randarkade, kann die Durchblutung über ein bis zwei Zentimeter ausreichen. Die venöse Drainage verläuft entlang der Arterie zur V. mesenterica superior, die nach der Einmündung des Konfluenz von V. lienalis und V. mesenterica inferior zur V. porta wird.
Lymphsystem
Im Intestinaltrakt lassen sich neben Lymphfollikeln und den Peyer-Plaques sehr viele Lymphozyten, Plasmazellen und Makrophagen nachweisen, die allesamt Bestandteil eines umfangreichen darmassoziierten Immunsystems sind, in dem sich 70 bis 80 Prozent aller immunkompetenten Zellen des Körpers aufhalten. Der Lymphabfluss verläuft entlang der Arterien mit großen Lymphknoten an den Hauptstammarterien und dann in den Ductus thoracicus.
Darmwand
Die Darmwand ist wie der übrige Gastrointestinaltrakt aus Mukosa, Submukosa und Muscularis propria aufgebaut und überwiegend von Peritoneum bedeckt. Die Mukosa ist entsprechend ihren verschiedenen Funktionen im Jejunum und Ileum unterschiedlich zusammengesetzt. Im Verlauf des Dünndarms nehmen von oral nach aboral der Außendurchmesser, die Wanddicke, die Höhe der Kerckring-Falten und die der Zotten ab. Außerdem verdichten sich die einzelnen Lymphfollikel im proximalen Abschnitt zu ausgeprägten Peyer-Plaques im distalen Abschnitt. Die Enterozyten an der Zottenspitze, die innerhalb von 24 bis 36 Stunden aus undifferenzierten Zylinderzellen der Krypten entstehen, sterben bereits nach drei bis sechs Tagen ab. Innerhalb ihrer kurzen Lebensspanne sind sie für die Absorption der Nährstoffe verantwortlich. Die Nährstoff- und Wasserabsorption wird dadurch begünstigt, dass sie nicht durch den Enterozyten transportiert werden müssen, sondern durch die großen Poren der „tight junctions“ passiv die Zellschicht passieren können. Diese Fähigkeit zur passiven Permeabilität nimmt nach distal kontinuierlich ab.
Appendix
Die Appendix vermiformis ist von einer einheitlichen und nicht dehnbaren Muskelschicht umgeben, die aus den drei fusionierten Tänien des Kolons gebildet werden. Ihre Länge und Lage in Bezug auf den Zökalpol ist sehr variabel. Sie ist von Peritoneum umgeben und enthält ein eigenes Mesenterium, in dem sich die A. appendicularis befindet, einem Endast der A. ileocolica.
Physiologie
Die Funktion des Dünndarms besteht hauptsächlich in der Verdauung (Digestion) und Nährstoffaufnahme (Absorption). Der Dünndarm ist aber auch ein wichtiges immunologisches und endokrines Organ und an der Regulation metabolischer Prozesse beteiligt.
Flüssigkeitsumsatz
Pro Tag werden ungefähr neun Liter Flüssigkeit im Gastrointestinaltrakt umgesetzt. Das Treitz-Band passieren täglich ungefähr 6,5 Liter Flüssigkeit. Im Dünndarm werden 2,5 Liter sezerniert und acht Liter resorbiert. Die Bauhin-Klappe passieren dann nur noch zwischen 1,0 und 1,5 Liter Flüssigkeit, die vom Kolon bis auf einen Rest von 100 bis 200 ml resorbiert werden. Der Dünndarm kann pro Tag bis zu 20 Liter einer Elektrolytlösung resorbieren und das Kolon bis zu vier Liter, so dass die maximale Resorptionskapazität 24 Liter in 24 Stunden beträgt. Unter maximaler Stimulation kann die Sekretion des Dünndarmes um das Fünffache auf zehn Liter am Tag gesteigert werden. Diese massiven Flüssigkeitsverschiebungen treten in klinischen Situationen zwar nicht auf, aber sie weisen auf die enorme Kapazität des Dünndarmes hin.
Flüssigkeitssekretion (plus Nahrung) und Resorption des Gastrointestinaltraktes [l/Tag]
Sekretion | Resorption | |
Nahrung | 1,5 | – |
Speichel | 1,0 | – |
Magen | 2,0 | – |
Galle | 0,5 | – |
Pankreas | 1,5 | – |
Jejunum | 2,0 | 5,0 |
Ileum | 0,5 | 3,0 |
Kolon | – | 1,0 |
Gesamt | 9,0 | 9,0 |
Hormonelle Regulation
Die Digestion und Absorption wird nicht allein durch das enterische Nervensystem (ENS) reguliert, sondern auch durch Hormone, Peptide und Neuropeptide auf ein Vielfaches gesteigert. Die Nährstoffe werden in allen Bereichen des Dünndarms nicht gleichartig aufgenommen, sondern in einigen Abschnitten werden bestimmte Stoffe bevorzugt adsorbiert. So kann der distale Dünndarm fast alle Nährstoffe resorbieren, während das Jejunum keine Gallensäuren oder Vitamin B12 aufnimmt.
Diarrhoe
Neben einer gehemmten Motilität, die sich als Ileus oder Obstipation manifestiert, kann auch eine Diarrhoe auftreten. Bei einer Diarrhoe handelt es sich um dünnflüssige Stühle, die häufiger als dreimal am Tag auftreten. Sie können osmotisch oder sekretorisch bedingt sein. Bei der osmotischen Diarrhoe befindet sich eine hyperosmolare Substanz (z.B. Magnesiumsulfat, Polyethylenglykol, Laktulose, Sorbit, Kontrastmittel) im Darm und es strömt aufgrund des osmotischen Gefälles Flüssigkeit in den Darm. Bei der sekretorischen Diarrhoe (z.B. Laxanzien, Medikamente, Enterotoxine) werden vermehrt Flüssigkeit und Elektrolyte in das Darmlumen sezerniert.
Therapie der Diarrhoe
Bei einer massiven akuten Diarrhoe ist eine orale Flüssigkeitszufuhr häufig hinreichend. Dabei sollte auf geeignete Getränke zurückgegriffen werden, die ein optimales Verhältnis von Natrium und Glucose aufweisen. Bei einem ausschließlichen Genuss von gesüßtem Tee, Fruchtsäften oder Cola wird zu wenig Natrium zugeführt. Bei ausgeprägter Diarrhoe mit Gefahr der Dehydration und metabolischer Entgleisung ist eine Infusionstherapie einzuleiten. Beim Morbus Crohn und nach einer Ileumresektion ist die enterale Gallensäureresorption vermindert und es tritt eine chologene Diarrhoe auf, die bei geringer Ausprägung durch Ionenaustauscher wie Cholestyramin behandelbar ist. Bei ausgeprägtem Gallensäureverlust wird diese durch eine Fettdigestionsstörung verstärkt. In diesen Fällen ist eine diätetische oxalatarme Behandlung mit mittelkettigen Triglyzeriden angezeigt.
Motilität
Die Motilität des Dünndarms enthält eine propulsive und eine nicht-propulsive Komponente. Bei der Propulsion wird der Chymus analwärts transportiert und bei der nicht-propulsiven Motilität durchmischt. Die Motilität beruht auf lokal regulierten Kontraktionen, einem so genannten peristaltischen Reflex, der aus einer stereotypen Muskelantwort besteht, die auf einen Dehnungsreiz reagiert. Indem der distale Abschnitt erschlafft, während sich der proximale gleichzeitig kontrahiert, wird der Chymus propulsiv transportiert. Während sich direkt postprandial kein eindeutiges übergeordnetes Muster der Motilität im Magen und Dünndarm nachweisen lässt, wurde im nüchternen Zustand ein typisches Motilitätsmuster gefunden, das sich regelmäßig bis zur erneuten Nahrungsaufnahme wiederholt. Bei diesem Motilitätsmuster treten massive Kontraktionssalven (migrating motor complex – MMC) auf, die sich als Kontraktionsfront von ihrem Ursprung im Magen bis zur Bauhin-Klappe fortsetzt. Diese ausgeprägte propulsive Motilität, die sozusagen den Magen und gesamten Dünndarm von Speiseresten „reinigt“ und deshalb auch „house keeper“ genannt wird, wird von Schrittmacherzellen gesteuert, die von sich aus in regelmäßigen Abständen spontan depolarisieren und die Kontraktionen weiterleiten. Das Schrittmacherzentrum, das am schnellsten depolarisiert und somit den Takt angibt, liegt beim Gesunden im Magen. Von hier leitet sich die Aktionsfront im nüchternen Zustand in Abständen von ungefähr 100 Minuten über den gesamten Dünndarm. Wenn sie die Bauhin-Klappe erreicht, beginnt sie erneut im Magen, bis die Nahrungsaufnahme das Muster unterbricht.
Motilitätsstörung
Die normale Motilität kann durch lokale Reize gestört werden. Wenn z.B. Toxine ausgeschüttet werden oder die Darmwand direkt gereizt wird, werden hemmende Motoneurone aktiviert und dadurch eine Motilitätsstörung ausgelöst. Letztlich setzen diese Motoneurone hemmende Neurotransmitter an den neuromuskulären Übergängen frei, die die glatten Muskeln relaxieren.
Enterisches Nervensystem
Das gesamte enterische System wird über ein eigenes Nervensystem versorgt, dem enterischen Nervensystem (ENS), deren Neurone im submukösen (Meissner) und intramuskulären Plexus (Auerbach) liegen, wobei sich der Letztere zwischen der Ring- und Längsmuskulatur befindet. Das ENS besteht aus ungefähr 108 Neuronen und enthält somit ungefähr so viel Neurone wie das Rückenmark. Über ihre Afferenzen erhalten die Plexus Informationen aus den Mechano-, Chemo- und Schmerzrezeptoren der Darmwand sowie aus den modulierenden Einflüssen des ZNS. Die efferenten Fasern des submukösen Plexus regulieren die Sekretion und Absorption und die des intramuskulären Plexus den Muskeltonus und die Kontraktionen. Die beiden Plexus sind untereinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig über multiple Reflexkreise.
Vegetatives Nervensystem
Während früher vermutet wurde, dass vorwiegend der Sympathikus und Parasympathikus die gastrointestinale Motilität regulieren, ist heute allgemein akzeptiert, dass das enterische Nervensystem weitgehend selbständig funktioniert und durch das vegetative Nervensystem lediglich moduliert wird. Parasympathische Reize erhöhen dabei die Sekretion und Motilität, während der Sympathikus eher hemmend wirkt und zusätzlich die Durchblutung vermindert. Die parasympathischen Fasern gelangen über den N. vagus und die Nn. splanchnici pelvini in die Bauchhöhle. Die Fasern des Sympathikus für die Bauchhöhle stammen aus Th5 bis L3 und werden über die prävertebralen Ganglien umgeschaltet.
Zytostatika und Bestrahlung
Die relativ hohe Zellproliferation macht die Mukosa anfällig für eine zytostatische Chemotherapie oder Bestrahlung. Die Zotten verkürzen sich, die Mukosa verflacht und die intestinale Barriere wird geschädigt. Eine bakterielle Überwucherung und Translokation ist die Folge. Klinisch treten akut Erosionen und Ulzerationen auf und eine Diarrhoe ist die Regel. Eine symptomatische Behandlung mit ausreichender Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten ist in diesen Fällen nötig und wird durch die Gabe von Loperamid und eventuell Octreotid unterstützt, um die Stuhlfrequenz und -menge zu reduzieren. Im Gegensatz zu den akuten Veränderungen der Mukosa beruhen chronische Strahlenschäden auf einer Obliteration kleiner Gefäße in der Submukosa mit Rarefizierung des Gefäßsystems in der Darmwand. Die konsekutive chronische Durchblutungsverminderung führt zu Fibrosierungen und Kollagenstörungen, so dass Fisteln und Stenosierungen auftreten. Bei Operationen im bestrahlten Gebiet sollte bedacht werden, dass eine normale Heilung an bestimmte Konditionen gebunden ist, die in dem strahlengeschädigten Gewebe nur unvollständig erfüllt sind. Anastomoseninsuffizienzen und Wundheilungsstörungen treten deshalb gehäuft auf.
Gallensäure
Für eine regelrechte Verdauung sind die ambiphilen Gallensäuren unerlässlich, denn sie bilden Micellen, die für eine effektive Fettverdauung und -resorption notwendig sind. Da der gesamte Vorrat an Gallensäuren aber nur zwei bis vier Gramm beträgt, reicht er für die tägliche Verdauung nicht aus, denn allein bei einer fettreichen Mahlzeit wird das Mehrfache dieses Vorrates benötigt. Die Verdauung wird nur dadurch sichergestellt, dass die gesamten Gallensäuren im entero-hepatischen Kreislauf ungefähr sechs- bis achtmal am Tag zirkulieren. Nach ihrer Synthese in der Leber werden sie mit der Galleflüssigkeit sezerniert und im Ileum zu über 95 Prozent resorbiert. Dadurch werden letztlich nur 200–400 mg Gallensäure am Tag im Stuhl ausgeschieden, was zugleich der Syntheseleistung der Leber entspricht. Wenn der entero-hepatische Kreislauf aber durch eine ausgedehnte Ileumresektion gestört und die Synthesekapazität der Leber überschritten wird, dann können keine Micellen mehr im proximalen Dünndarm gebildet werden und die Adsorption von Fetten und anderen fettlöslichen Stoffen werden massiv gestört.