Elektrochirurgische Grundlagen
Bei jeder Operation sollte das Gewebetrauma minimiert werden. Dazu wäre es günstig, wenn das gesamte Gewebe nur scharf mit dem Skalpell oder der Schere durchtrennt wird, denn dabei wird das benachbarte Gewebe nicht beschädigt. Dieses Vorgehen würde aber zu vielen kleinen Blutungen führen, die den Blutverlust bei der Operation unnötig erhöhen und die weitere Präparation erschweren, weil die Schichten nicht mehr so gut zu erkennen sind. Man kann zwar darauf vertrauen, dass sich kleine Gefäße kontrahieren und bei einer normalen Gerinnung die Blutung spontan aufhört, aber mittelgroße Gefäße würden munter weiter bluten.
In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde die Elektrochirurgie eingeführt, bei der der Effekt eines elektrischen Stromes auf das Gewebe genutzt wird. Hierbei wird ein hochfrequenter Strom von 300 bis 500 kHz verwendet, weil er die Nerven oder andere Rezeptoren nicht anregt und auch keine Muskelaktivitäten bzw. Tetanie auslöst. Von dem amerikanischen Chirurgen George A. Wyeth 1923 angeregt, kombinierte der Harvard-Physiker William Bovie 1926 zwei Generatoren, die jeweils einen Strom zum Schneiden (gelbe Taste) und einen zum Koagulieren (blaue Taste) erzeugten. Die Ingenieure fanden damals heraus, das eine Sinusschwingung mit geringer Spannung und hoher Stromstärke das Gewebe leicht durchtrennt, während eine sehr stark gedämpfte Schwingung mit kurzen Unterbrechungen, mit hoher Spannung und niedriger Stromstärke das Gewebe koaguliert. Nachdem sich die Elektrochirurgie als sehr hilfreiches Instrument erwiesen hatte, wurde sie kontinuierlich weiterentwickelt, so dass man heute mit ihrer Hilfe komplexe chirurgische Tätigkeiten ausüben kann. Um die Elektrochirurgie in der Praxis optimal einzusetzen, sollte die Wirkungsweise des elektrischen Stromes auf das Gewebe bekannt sein.
An dem elektrochirurgischen Instrumentarium existiert auch heute noch eine gelbe und blaue Taste. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass mit der blauen Taste koaguliert wird und mit der gelben geschnitten. Je nachdem wie der Generator eingestellt wurde, kann mit der gelben Taste auch koaguliert und mit der blauen Taste geschnitten werden.
Grundlagen
Thermische Energie
Bei der elektrochirurgischen Anwendung wird die elektrische Energie beim Durchfließen des Gewebes in thermische Energie umgewandelt. Das Gewebe erhitzt sich, wobei die erzeugte Temperatur das Ausmaß der Gewebeschädigung definiert. Bei Temperaturen im Bereich 50 bis 60 °C sind die Schädigungen makroskopisch nicht sichtbar, sondern nur histologisch. Bereits bei dieser geringen Temperatur wird der Metabolismus der Zellen irreversibel geschädigt. Erst bei einer Temperaturerhöhung auf 60 bis 80 °C verfärbt sich das Gewebe durch die Denaturierung der Proteine weißlich. Es trocknet und schrumpft. Bei Temperaturen über 100 °C kocht das Wasser in den Zellen, Wasserdampf entwickelt sich und die Zellen platzen durch den erhöhten intrazellulären Druck. Die Temperatur steigt bei weiterer Energiezuführung sehr rasch auf über 200 °C an. Das Gewebe beginnt zu verbrennen und verkohlt. Es entsteht Rauch.
Wärmeentwicklung
Aber nicht nur die absolute Menge an elektrischer Energie beeinflusst die Gewebeschädigung, sondern auch in welchem Zeitintervall sie appliziert wird. Wenn die Wärme sich sehr schnell entwickelt, dann steigt die Temperatur extrem rasch im Gewebe an und zerstört es. Das Gewebe verdunstet oder verkohlt. Wird dieselbe Wärmemenge dem Gewebe langsamer zugeführt, dann breitet sie sich weiter in die Umgebung aus, so dass die Temperatur im Gewebe nicht ganz so hoch ansteigt. Statt der vollständigen Zerstörung einer kleinen oberflächlichen Gewebemenge wird jetzt eine größere Gewebemenge erwärmt. Wenn sich die Wärme in die Tiefe ausbreiten soll, um das Gewebe dort zu koagulieren, dann darf die nötige Energie also nicht zu schnell appliziert werden.
Gewebeeffekt
Der Gewebeeffekt lässt sich durch folgende Faktoren kontrollieren: die applizierte elektrische Energiemenge pro Zeit bzw. Leistung [W], die Elektrodenform, die Modulation des elektrischen Stromes (Spannung, Stromstärke, Schwingung) und die Art der Applikation (monopolar oder bipolar).
Energiemenge
Die entwickelte Wärme hängt primär von der Menge der elektrischen Energie ab, die durch das Gewebe fließt. Die elektrische Energieabgabe des Generators pro Zeit wird als Leistung bezeichnet und in Watt angegeben. Diese Ausgangsleistung des Generators wird individuell eingestellt (z. B. 40 Watt). Ist die klinische Wirkung des elektrischen Stromes auf das Gewebe unzureichend, dann sollte die Leistung des Generators erhöht werden (z. B. 50 Watt). Nun wird mehr Energie pro Zeit abgegeben, so dass sich die Temperatur im Gewebe schneller erhöht und das Gewebe rascher verkocht bzw. verkohlt. Mit der Einstellung der Leistung kann der gewünschte Effekt grob eingestellt werden. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass mit der höheren Energieabgabe auch die Wärmeentwicklung im Gewebe beschleunigt wird, so dass das Gewebe eher verdampfen oder verkohlen kann, bevor die erwünschte Tiefenwirkung eingetreten ist. Da eine Koagulation nur bei Temperaturen unter 100 °C eintritt, darf das zu koagulierende Gewebe nicht zu schnell erhitzt werden. Bei einer zu starken Temperaturerhöhung würde das Gewebe zerstört und nicht koaguliert. Dadurch würde letztlich keine Blutstillung erreicht werden. Wird die Energieabgabe des Generators vermindert, dann ist unter Umständen gar kein Gewebeeffekt mehr festzustellen, weil die geringe Energie nur wenig Wärme bildet, die kontinuierlich mit dem Blut abtransportiert wird. Dies trifft besonders bei sehr gut durchblutetem Gewebe zu, welches die Wärme besonders gut leitet. In diesen Fällen ist die Energieabgabe zu erhöhen, um einen Effekt zu erzielen.
Elektrodenform
Die entwickelte thermische Energie hängt vom Fluss der Ladungen durch das Gewebe ab. Wird die Stromdichte erhöht, indem derselbe Strom über eine kleinere Elektrode fließt, dann erhöht sich an dieser Stelle auch die thermische Energie. Wenn mit einer normalen Messerelektrode operiert wird, dann werden mit der Spitze, der Schneide oder der breiten Fläche unterschiedliche Effekte erzielt, obgleich dieselbe Energiemenge appliziert wird. Mit der Spitze kann das Gewebe leicht durchtrennt werden, weil die Stromdichte an diesem Punkt sehr hoch ist. Mit der Schneide würde das Gewebe eher koaguliert werden. Wird die breite Seite verwendet, dann tritt möglicherweise gar kein Effekt auf, weil die geringe Stromdichte nur wenig thermische Energie produziert, die direkt abgeleitet wird. Die Elektrodenkonfiguration bestimmt somit über die Stromdichte an der Elektrode wesentlich den Gewebeeffekt.
Neutralelektrode
Das ist auch der Grund, warum an der Neutralelektrode, die breitflächig den Strom ableitet, die Haut nicht verbrennt. Die Stromdichte ist hier sehr gering. Liegt die Neutralelektrode aber nur an einer kleinen Stelle an, dann reicht die Stromdichte aus, um eine Verbrennung auszulösen. Obgleich die modernen Geräte alle über Warnhinweise verfügen, wenn Probleme mit der Neutralelektrode auftreten, sollte die Neutralelektrode unbedingt gemäß der Gebrauchsanweisung sorgfältig aufgeklebt werden, um Verbrennungen zu vermeiden. Die Neutralelektrode sollte möglichst nahe des Operationsgebietes auf gut leitendem Gewebe (z.B. Muskulatur) platziert werden. Der Strom sollte in Längsrichtung und nicht quer zur Körperachse fließen. Ein Stromfluss quer durch den Thorax oder in der Nähe von Schrittmachern sollte unbedingt vermieden werden. Einige Schrittmacher müssen kurz vor der Operationen ausgestellt werden.