Wundheilung
Eine Wunde ist eine umschriebene Schädigung des Gewebes. Da bei fast jeder chirurgischen Tätigkeit eine Wunde zugefügt wird, gehört die Wundheilkunde, die effektive Behandlung akuter und chronischer Wunden, zu den ältesten Kenntnissen des Chirurgen.
Physiologie
Die physiologischen Abläufe der Wundheilung sind in ihren Grundzügen heute weitgehend aufgeklärt. Da der Organismus nach einer Verletzung seine Integrität verliert, schützt er sich vor deletären Flüssigkeitsverlusten und Infektionen, indem er sofort die Wundheilung einleitet. Diese verschließt den Defekt durch vernarbendes Stützgewebe und überdeckt ihn mit einem Epithel.
Heilungsphasen
Der Heilungsvorgang wird in drei Phasen eingeteilt: Eine katabole, entzündliche Phase (ca. 0–3 Tage), eine anabole Proliferationsphase (ca. 4–7 Tage) und eine reparative Phase (ca. ab dem achten Tag). Bei der Heilung einer frischen Wunde überlappen sich die Phasen teilweise. Bei chronischen Wunden finden sich alle Phasen gleichzeitig in unterschiedlicher Ausprägung.
Katabole Phase
Direkt nach der Verletzung wird die Blutung gestillt, indem die Hämostase aktiviert wird und sich kleine verletzte Gefäße verengen und verschließen. Aus dem verletzten Gewebe werden Histamin, Bradykinin und 5-Hydroxytryptamin freigesetzt, die die benachbarten Gefäßabschnitte erweitern, die Kapillarpermeabilität erhöhen und gleichzeitig Leukozyten anlocken. Klinisch kommt es zu einer Exsudation von Blutbestandteilen mit Ausbildung eines Wundödems sowie einer Hyperämie durch die Kapillardilatation und Permeabilitätssteigerung der Gefäße. Sowohl die vermehrte Durchblutung als auch das Wundödem sind dabei keine unerwünschten Zustände, sondern notwendige Bedingungen für die nachfolgende Zellvermehrung und das Zellwachstum. Werden beide durch eine antientzündliche Therapie unterdrückt, z. B. durch Glucokortikoide, Salicylsäurederivate oder COX-Hemmer, dann wird die Wundheilung nicht verbessert, sondern massiv beeinträchtigt.
Phagozytose
Zusätzlich wird die Phagozytose induziert, um Bakterien zu neutralisieren und die Wunde zu säubern. Die neutrophilen Leukozyten sind die ersten zellulären Abwehrzellen, die in der Wunde erscheinen. Sie phagozytieren Bakterien und Zelltrümmer und induzieren ebenfalls die Ausschüttung vasodilatativer Faktoren, die die klinischen Entzündungszeichen (Rötung, Schwellung) verstärken. Die neutrophilen Leukozyten sterben nach 24 Stunden. Eine größere Ansammlung von abgestorbenen Zellen kann sich dann bereits als Eiter präsentieren. Die nachfolgenden Abwehrzellen sind in erster Linie Makrophagen, die den eigentlichen Heilungsprozess auslösen, indem sie Zytokine und Wachstumsfaktoren ausschütten. Die freigesetzten Kollagenasen säubern die Wunde, die Interleukine stimulieren die Einwanderung und Proliferation von Fibroblasten und angiogene Substanzen fördern die Neoangiogenese.
Entzündungsprozess
Der aktivierte Entzündungsprozess nach der Verletzung des Gewebes ist notwendiger Bestandteil der normalen Wundheilung. Eine geringe Rötung, Überwärmung und Schwellung der Wunde ist deshalb nicht ungewöhnlich. Allerdings sollte die Entzündungsphase rasch in die zweite Phase übergehen und nicht in eine Infektion umschlagen. Zu beachten ist, dass die frische Wunde während der ersten Tage den pathogenen Keimen fast hilflos ausgeliefert ist, weil die lokalen Abwehrmechanismen erst langsam auf den Wundreiz reagieren. Die Wunde ist somit anfällig für Infektionen, wenn sie stark kontaminiert ist. In der ersten Phase wird nach der Blutstillung eine limitierte Entzündungsreaktion ausgelöst und die Wunde durch resorptive Mechanismen gereinigt.
Proliferative Phase
Die zweite Phase ist im Gegensatz zur ersten anabol ausgerichtet. Es wird Granulationsgewebe gebildet. Durch die Freisetzung von mitogenen Faktoren als auch von Hormonen und Prostaglandinen wird eine Proliferation von Zellen induziert. Zunächst sammeln sich zunehmend Makrophagen in dem Gewebedefekt, die aus dem Blut in die Wunde gelangen oder sich aus benachbarten Adventitiazellen entwickeln. Aus den ortsständigen Fibrozyten und aus den Monozyten des Blutes entstehen Fibroblasten, die vermehrt Kollagen und andere Eiweißstoffe (Elastin, Proteoglykane, Keratine) bilden. Gleichzeitig entstehen neue Kapillaren aus den Angioblasten benachbarter Kapillaren.
Granulationsgewebe
Das sich so entwickelnde Granulationsgewebe ist charakterisiert durch einen hohen Anteil an polymerisierter Grundsubstanz und Kollagen, eine optimale Infektabwehr und eine zunehmende Angiogenese. Das gefäßreiche Granulationsgewebe füllt den Gewebedefekt aus und schafft somit eine geeignete Oberfläche für die Epithelisierung, die von den Wundrändern erfolgt. Die Wunde stimuliert außerdem eine vermehrte Epithelzellneubildung durch Migration von Epithelzellen aus dem benachbarten Gewebe. Die Migration von Epithelzellen setzt allerdings voraus, dass die Wundunterlage gut befeuchtet und gut durchblutet ist. Eine Austrocknung des Granulationsgewebes unterbindet diesen wichtigen Mechanismus. Auch in dieser Phase kann die Wundheilung beeinträchtigt werden, indem die Proliferation der Zellen verhindert wird. Zu den störenden Faktoren zählen Glucokortikoide, Zytostatika oder ionisierende Strahlen.
Reparative Phase
In der dritten, der reparativen Phase, die ungefähr am achten Tag einsetzt, nehmen die Zelldichte, mitotische Aktivität und Vaskularisation des Gewebes langsam ab. Das Gewebe differenziert sich. Es bilden sich vermehrt kollagene Fasern, die zur endgültigen Narbenbildung führen. Indem sich das kollagene Netzwerk ausrichtet, nimmt auch die Reißfestigkeit des Gewebes zu. Bei einem bradytrophen Gewebe wie Faszien und Sehnen dauert es viele Monate bis eine hohe Reißfestigkeit erreicht ist. Allerdings handelt es sich bei der Narbenbildung immer um eine Defektheilung, denn die Narbe besitzt maximal bis zu 80 % der Reißfestigkeit des ursprünglichen Gewebes.