Antibiotika

Auswahl

Bei der Auswahl eines Antibiotikums sollte immer berücksichtigt werden, ob es überhaupt in das Gewebe penetrieren und die Bakterien bekämpfen kann. Bei akuten Infektionen wird die Penetration des Antibiotikums durch die zunehmende Permeabilität des Gewebes begünstigt. Bei chronischen Infekten oder intrazellulären Keimen und bei allen Strukturen mit einer schlechten Blutversorgung (z.B. Abszessen) kann das Antibiotikum nur abgeschwächt wirken. Bei implantiertem Fremdmaterial entwickelt sich auf den Oberflächen manchmal ein Schleim, der die Organismen vor der Einwirkung des Antibiotikums schützt.

Applikationsweise

Die Art der Verabreichung eines Antibiotikums sollte in den Hintergrund treten und stattdessen auf das Spektrum, die Bioverfügbarkeit und Gewebepenetration geachtet werden. In Notfällen wird das Antibiotikum intravenös gegeben, um rasch einen hohen Gewebespiegel zu erreichen. Bei allen Patienten, die oral ernährt werden können, sollte das Antibiotikum oral appliziert werden, wenn es eine hohe Bioverfügbarkeit besitzt, denn bei äquivalenter Dosierung ist kein Unterschied im Therapieeffekt zu erwarten. Die Bioverfügbarkeit ist beim Vancomycin bekannterweise sehr schlecht, aber bei den Cephalosporinen, Makroliden oder ß-Lactam-Penicillinen völlig ausreichend. Eventuell ist die Dosierung zu erhöhen, um einen vergleichbaren Gewebespiegel zu erreichen.

Pharmakodynamik

Die Bakterizidie hängt bei einigen Antibiotika von der spezifischen Pharmakodynamik ab. Aminoglykoside und Fluorchinolone wirken konzentrationsabhängig, so dass hier darauf geachtet werden sollte, dass das Verhältnis des Spitzengewebespiegels zur minimalen Hemmkonzentration mit dem Therapieerfolg korreliert. Je größer das Verhältnis ist, umso effektiver wirkt das Antibiotikum. Bei ß-Lactam-Antibiotika ist es dagegen viel wichtiger, dass der Prozentsatz des Dosierungsintervalls, in dem die Plasmakonzentration über der MHK liegt, möglichst groß ist. Bei dieser zeitabhängigen Wirkung sind deshalb die Zeitintervalle zwischen der Antibiotikagabe wichtig und sollten möglichst eingehalten werden. Die Dosierungsintervalle werden so gewählt, dass die Gewebespiegel zu 40-60% der Zeit über der minimalen Hemmkonzentration liegen.

Therapeutisches Drug-Monitoring

Bei Aminoglykosiden und Glykopeptiden wird ein Drug-Monitoring empfohlen, um die individuell optimale Dosierung zu finden. Die therapeutische Breite dieser Substanzen ist relativ schmal, die potentiellen Nebenwirkungen schwer und es besteht eine ausgeprägte Konzentrations-Wirkungs-Beziehung. Für Aminoglykoside werden bei einer einmaligen Tagesdosis Spitzenspiegel von 15-25 mg/l und Talspiegel von unter 1 mg/l angestrebt. Bei den Glykopeptiden ist das Ziel eine dauerhafte Konzentration oberhalb der MHK (ca. 10-20 mg/l), wobei unbedingt daran gedacht werden sollte, dass ab 15 mg/l die Nephrotoxizität deutlich zunimmt.

Elimination

Die normalerweise angegebenen Dosierungen unterstellen eine normale Leber- und Nierenfunktion. Bei einer Niereninsuffizienz und einer primären renalen Elimination des Antibiotikums ist es sinnvoll, die Erhaltungsdosis zu halbieren. Bei einer ausgeprägten renalen Insuffizienz sollte zusätzlich das Dosierungsintervall verdoppelt werden. Für viele Medikamente kann die optimale Dosierung unter www.dosing.de berechnet werden. Bei Leberschäden sollte auch die hepatotoxische Wirkung der Antibiotika beachtet werden.

Nebenwirkungen

Bei fast allen Antibiotika treten in ca. 10% unerwünschte Nebenwirkungen auf, die biologisch, toxisch oder allergisch bedingt sind. Im Vordergrund stehen Störungen des GI-Traktes mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen. Daneben treten Hautaffektionen auf wie Exantheme, phototoxische Reaktionen oder Urtikaria oder Störungen des ZNS wir Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Schwindel.

Resistenz

Die Antibiotikaresistenz ist abhängig vom Antibiotikum und normalerweise auf wenige Bakterienspezies beschränkt. Sie hängt nicht direkt davon ab, in welcher Dosierung oder über welche Dauer ein Antibiotikum gegeben wurde. Allerdings sollte man den Selektionsdruck durch inadäquate oder zu lange Antibiotikagabe verringern. Manche Antibiotika haben ein relativ geringes Resistenzpotential, andere können dagegen bereits bei geringem Einsatz eine Resistenz auslösen. Wenn Antibiotika mit ähnlichem Wirkungsspektrum verwendet werden, dann sollten diejenigen ausgewählt werden, die ein geringes Resistenzpotential haben. Außerdem sind einige Antibiotika wie Ceftazidim assoziiert mit einer zunehmenden Prävalenz von MRSA.

Fehler

Das Versagen einer Antibiose beruht manchmal auf einfachen Fehlern: Es wurde ein Antibiotikum mit zu geringem Blut- oder Gewebespiegel ausgewählt; Fremdkörper wurden nicht entfernt oder Abszesse nicht drainiert; die entsprechenden Organe waren nicht ausreichend perfundiert; Interaktionen mit anderen Medikamenten blieben unberücksichtigt, oder eine Pilzsuperinfektion wurde nicht adäquat behandelt.

Regeln

Bei den meisten Antibiotika ist eine Monotherapie ausreichend. Optimalerweise sollte das Keimspektrum bekannt sein. Ein Antibiotikum ist kein Antipyretikum, sondern wird nur bei einem bakteriellen Infekt appliziert. Bei unklarem Fieber wird deshalb eine Blutkultur entnommen. Der therapeutische Effekt sollte spätestens nach zwei bis vier Tagen evident sein. Die Behandlungsdauer sollte beschränkt werden, um den Selektionsdruck zu vermindern. Drei bis fünf Tage nach Entfieberung reichen meistens aus. Allergien müssen berücksichtigt werden. Viele postoperative Antibiotika werden wahrscheinlich viel zu lange gegeben, besonders nach erfolgreicher Sanierung eines septischen Fokus.

Antibiotikauswahl

In der Viszeralchirurgie werden regelmäßig Antibiotika eingesetzt, mit deren Wirkungen, Nebenwirkungen und Besonderheiten man vertraut sein sollte. Zu den häufigsten gehören: Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme, Fluorchinolone, Glykopeptide, Aminoglykoside, Linezolid, Tigecyclin und Metronidazol.

Penicilline

Penicillin G und Oxacillin spielen in der Viszeralchirurgie kaum eine Rolle. Sehr viel wichtiger sind die Aminopenicilline Ampicillin und Amoxicillin. Die antibakterielle Wirkung umfasst ein breites Spektrum grampositiver und –negativer Keime. Da viele, früher sensible Darmkeime mittlerweile ß-Lactamasen bilden, wird Ampicillin mit den ß-Lactamaseninhibitoren Clavulansäure oder Sulbactam kombiniert. Aminopenicilline sind sehr effektiv und für viele akute und chronische Infektionen zugelassen. Ihre häufigste Nebenwirkung ist eine pseudoallergische Hautreaktion, die erst nach einigen Tagen auftritt. Als feste Kombination wird gern Unacid® 3mal 1,5/3,0 g i.v. eingesetzt. Ein noch umfassenderes Wirkungsspektrum auf grampositiv und –negative, aerobe und anaerobe Bakterien haben Acylaminopenicilline wie Piperacillin, das auch bei Pseudomonas aeruginosa wirkt. Auch hier werden ß-Lactamaseninhibitoren wie Tazobactam zugesetzt. So wird Tazobac® 3mal 4,5 g i.v. bei starken Infektionen wie bei kotiger Peritonitis, Anastomoseninsuffizienz oder nosokomialen Infektionen eingesetzt.

Cephalosporine

Die Cephalosporine werden in fünf Gruppen eingeteilt, von denen in der Viszeralchirurgie die Gruppe 2 mit Cefuroxim und die Gruppe 3b mit Ceftazidim (Fortum®) bedeutend ist. Cefuroxim (3mal 1,5 g) hat einen sehr weiten Einsatzbereich, weil es sehr gut im gramnegativen Bereich wirkt und eine mäßig gute Wirksamkeit gegen Staphylokokken zeigt. Ceftazidim wirkt dagegen nur unzureichend gegen Staphylokokken. Insgesamt nehmen die Resistenzen von E. coli auf Ampicillin und Cefuroxim deutlich zu, genauso wie die Extended-Spektrum-Beta-Lactamasen bei allen Cephalosporinen.

Carbapeneme

Carbapeneme sind ß-Lactam-Antibiotika, die gut vertragen werden. Sie haben ein sehr weites Wirkungsspektrum auf grampositiv und –negative Bakterien sowie Anaerobier. Sie sind zwar bei ESBL-Bildern effektiv, aber nicht bei MRSA. Allerdings bilden mittlerweile einige Bakterien, Carbapenemase und sind somit resistent. Sie werden in zwei Gruppen eingeteilt: Imipenem (Zienam®) und Meropenem einerseits und Ertapenem (Invanz®) andererseits. Beide Gruppen werden renal eliminiert, wobei Ertapenem wegen seiner längeren Halbwertszeit nur einmal täglich appliziert werden muss. Alle Carbapeneme haben eine dosisabhängige epileptogene Potenz.

Fluorchinolone

Von den vier Gruppen der Fluorchinolone sind hier hauptsächlich die Gruppen 2-4 interessant. Aus der ersten Gruppe das Ciprofloxacin, aus der zweiten das Levofloxacin (Tavanic®) und aus der dritten das Moxifloxacin (Avalox®).  Fluorchinolone wirken konzentrationsabhängig und haben ein breites Wirkungsspektrum. Allerdings habe sie eine gewisse Schwäche bei den Staphylokokken. Aufgrund zunehmender Resistenzen bei E. coli und einigen Enterobacteriaceae sollten sie nicht als Monotherapie eingesetzt werden. Die Nebenwirkungen treten mit 5-10% nicht selten auf. Sie betreffen in erster Linie den GI-Trakt, aber über Schlafstörungen, Benommenheit und Hautreaktionen wird berichtet. Die Resistenzen von E. coli (25%), P. aeruginosa (20%), S. aureus (30%) haben deutlich zugenommen.

Glykopeptide

Von den Glykopeptiden Vancomycin und Teicoplanin wird ersteres sicherlich häufig eingesetzt. Sie wirken nur bei grampositiven Bakterien (MRSA, Clostridien, Enterokokken und E. faecium). Aufgrund ihres konzentrationsabhängigen relativ hohen nephro- und ototoxischen Potentials und ihrer zeitabhängigen Wirkung ist ein Drug-Monitoring unerlässlich, um einen ausreichend hohen Plasmaspiegel von 10-15 mg/l zu erreichen. Vancomycin wird oral bei einer Clostridien-Infektion gegeben, wobei es so gut wie nicht resorbiert wird. Parenteral solle es sehr langsam, mindestens über fünf Minuten gegeben werden, weil sich sonst eine schwere Überempfindlichkeitsreaktion ausbilden kann, das sogenannte „red-man-Syndrom“. Vancomycin-resistente MRSA-Stämme sind noch selten, aber die Hemmkonzentrationen steigen bereits deutlich an. Bei einer erforderlichen Hemmkonzentration von über 2 mg/l muss mit einer hohen Versagerquote gerechnet werden, so dass in diesen Situationen auf Alternativen zurückgegriffen werden.

Aminoglykoside

Die Aminoglykoside haben heute an Bedeutung verloren. Sie wirken bevorzugt im gramnegativen Bereich und werden häufig in Kombination mit ß-Lactam-Antibiotika appliziert. Sie wirken rasch und konzentrationsabhängig, so dass der Gewebespiegel 5mal höher sein sollte als die minimale Hemmkonzentration. Obgleich sie eine relative kurze Halbwertszeit haben, wird eine einmalige Gabe der gesamten Tagesdosis (Kurzinfusion über 15-30 Min.) gegenüber einer dreimaligen Gabe präferiert, weil der gesamte nephro- und ototoxische Effekt geringer zu sein scheint. Beim fast immer erforderlichen Drug-Monitoring sollte der Talspiegel unter 1 mg/l und der Spitzenspiegel bei 15-20 mg/l liegen. Aufgrund der Nebenwirkungen wird die Therapie meistens auf 3-5 Tage beschränkt.

Metronidazol

Metronidazol wirkt konzentrationsabhängig bakterizid auf anaerobe grampositive und –negative Erreger. Es wird selten als Monotherapie eingesetzt, wie bei einer Clostridieninfektion. Zentrale und periphere Neuropathien sind gefürchtete Nebenwirkungen.

Proteinsynthesehemmer

Linezolid (Zyvoxid®) und Tigecyclin (Tygacil®) hemmen beide die bakterielle Proteinsynthese. Linezolid (Zyvoxid®) wirkt auf grampositive Erreger einschließlich MRSA und Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE). Eine Thrombozytopenie ist eine bekannte Nebenwirkung. Tigecyclin (Zyvoxid®) wirkt zusätzlich auch auf gramnegative Erreger. Die Therapiekosten sind bei beiden hoch und Resistenzen sind bei beiden Stoffen noch relativ selten.

Antibiotikaprophylaxe

Bei vielen gängigen viszeralchirurgischen Eingriffen wird heute eine Antibiotikaprophylaxe empfohlen, obgleich sie nicht bei allen Indikationen hinreichend gesichert ist. Bei Eingriffen mit sehr geringer Infektionsgefahr (Schilddrüsenresektion bei Struma nodosa oder Leistenhernienreparation nach Shouldice) ist der Nutzen extrem gering, so dass sie hier ernsthaft hinterfragt werden sollte. Zur Prophylaxe wird das Antibiotikum in der Regel nur einmalig mit der Narkoseeinleitung appliziert, so dass zum Zeitpunkt des Schnittes ein ausreichender Gewebespiegel vorliegt. Am besten wird es 30 Minuten vor dem Operationsbeginn infundiert. Wird es erst mit dem Hautschnitt gegeben, büßt es einen großen Teil seiner Effektivität ein. Bei längeren Operationen sollte nach drei Stunden eine zweite Dosis erwogen werden. Die Wahl des Antibiotikums richtet sich nach dem Eingriff. Bewährt haben sich Cephalosporine, die bei Eingriffen am unteren Gastrointestinaltrakt mit Metronidazol kombiniert werden. Eine Fortsetzung der postoperativen Antibiose ist bei elektiven Eingriffen nicht erforderlich. Lediglich bei starker intraoperativer Kontamination oder Abszessen erscheint sie sinnvoll. Bei Allergien sind adäquate Alternativen einzusetzen. Bei einem sehr hohen Infektionsrisiko sollte gleich potentere Antibiotika eingesetzt werden.

Bei einigen Operationen ist eine Antibiotikaprophylaxe erforderlich. Das Antibiotikum wird unbedingt bei Narkoseeinleitung appliziert (ca. 30-45 Min. vor der Operation), so dass mit Operationsbeginn ein ausreichender Gewebespiegel vorhanden ist.

Eingriffe an „nicht kontaminierten“ Organen wie Schilddrüse, Hernien (ohne Netzeinlage), Leistenhernien, Nebenniere, Weichteile und Haut. Routine-Mediastinoskopie. AV-Fistel-Anlage, Thrombektomie der oberen Extremität. Keine Antibiotikaprophylaxe
Viszeralchirurgie: Eingriffe an „potentiell kontaminierten“ Organen wie der Gallenblase, Milz, Fundoplikatio. Implantation von Fremdmaterial ( große Netze).
Gefäßchirurgie: Alle Gefäßprothesen, Carotis-Rekonstruktion, Gefäßrekonstruktionen im Stadium IV,  bei immunsupprimierten Patienten, insulinpflichtiger Diabetes mell., dialysepflichtige Niereninsuffizienz
1,5 g Cefuroxim i. v., evtl. 3 Stunden später.
Eingriffe an „regelhaft kontaminierten“ Organen wie Ösophagus, Magen, Gallenwege, Pankreas.Dünn- und Dickdarm, Rektum. Proktologie: Verschiebelappenplastik bei Fisteln oder Sinus pilonidalis, Gracilisplastik 1,5 g Cefuroxim i. v. und 500 mg Metronidazol i. v. für mindestens 24 Stunden, d.h. bei Narkoseinleitung, evtl. 3 Stunden später. Bei größerer Kontamination weitere Gaben bis zum nächsten Morgen.

Allergien

Bei Penicillinallergien wird statt Cefuroxim (mit oder ohne Metronidazol) Ciprobay 400 mg gegeben. Bei sehr hohem Risiko bereits mit Tazobac beginnen.

Endokarditisprophylaxe

Wenn das Risiko einer Bakteriämie besteht, dann ist eine Endokarditisprophylaxe bei allen Patienten einzuleiten, die ein sehr hohes oder hohes Risiko besitzen, an einer Endokarditis zu erkranken. Früher wurde eine Prophylaxe bei fast jeder Gewebemanipulation empfohlen, bei der eine Gefahr der Bakteriämie vermutet wird. Nachdem man aber erkannte, dass selbst beim Zähneputzen eine hohe Gefahr besteht, wurden die Empfehlungen dahingehend modifiziert, dass eine übliche Antibiotikaprophylaxe ausreichend ist.