Hypothermie

Unsere Körpertemperatur wird durch komplexe autonome Mechanismen so reguliert, dass die Körperkerntemperatur konstant bei ungefähr 36,3 bis 37,1 °C gehalten wird. Wenn die Körpertemperatur ohne weitere Wärmebildung aufrechterhalten werden kann, bewegen wir uns in der Thermoneutralzone. Bei einem unbekleideten Patienten müsste die Umgebungstemperatur 28 bis 30 °C betragen, damit bei minimaler Wärmeabgabe und -bildung die Körpertemperatur konstant bleibt. Die gesamte Wärmebildung hängt entscheidend vom Funktionsumsatz des Organismus ab. In Ruhe entwickelt ein 70 kg schwerer Patient ungefähr 80 Watt. Nach Nahrungsaufnahme, bei körperlicher Tätigkeit sowie vermehrter Ausschüttung von Adrenalin oder Thyroxin steigt die Wärmebildung erheblich. Die Gesamtwärmebilanz des Körpers hängt von der Wärmebildung und dem Wärmeverlust ab. Unter normalen Bedingungen schützen wir uns vor einem übermäßigen Wärmeverlust durch geeignete Kleidung und verlieren übermäßige Wärme, indem wir schwitzen. Beide Mechanismen haben im Operationstrakt keine Bedeutung.

Wärmeverlust

Wärme kann auf unterschiedliche Weise abgegeben werden. Wenn sie innerhalb oder zwischen unbewegten Medien übertragen wird, sprechen wir von Wärmeleitung. Sie folgt direkt dem Temperaturgradienten und hängt von der Wärmeleitfähigkeit des Mediums ab. So leitet zum Beispiel Wasser im Vergleich zur Luft die Wärme 25mal so gut, weshalb man im Wasser sehr rasch auskühlt. Wenn zwei Gegenstände unterschiedliche Temperaturen aufweisen, dann wird Wärme auf den kälteren Gegenstand durch Strahlung übertragen. Wenn wir uns an der Sonne erwärmen, dann profitieren wir von der Strahlung. Wenn ein unbekleideter Patient im kalten Operationssaal liegt, dann strahlt er ebenfalls Wärme ab. Ein Wärmeverlust über die Haut nimmt bei Luftströmung zu, wobei umso mehr Wärme dem Körper entzogen wird, je schneller die Luft strömt. Innerhalb des Körpers wird Wärme primär vom Blut transportiert. Da die Temperatur im Körperkern deutlich höher liegt als in der Peripherie, wird Wärme mit dem Blut in die Peripherie transportiert und über die Haut oder Atemwege abgegeben. Durch eine periphere Vasokonstriktion kann die Wärmeabgabe über die Haut gedrosselt und durch eine Vasodilatation erhöht werden.

Wärmeregulation

Die gesamte Thermoregulation beruht auf peripheren und zentralen Thermosensoren, die ihre Informationen an den Hypothalamus senden, der die Temperatur steuert. Sie wird so geregelt, dass sie über einem engen Bereich konstant gehalten wird. Dieser Bereich wird thermische Neutralzone genannt und beträgt normalerweise 0,2–0,4 °C. Solange sich die Temperatur innerhalb dieses Bereiches befindet, werden keine regulatorischen Maßnahmen eingeleitet.

Wärmeregulation erfolgt erst außerhalb eines Grenzbereiches

Hypothermie

Ein Abfall der Körperkerntemperatur unter 36 °C wird als Hypothermie bezeichnet. Auf den Temperaturabfall reagiert der Körper mit einer peripheren Vasokonstriktion und vermehrter Wärmebildung. Reichen diese Mechanismen zur Kompensation nicht aus und sinkt die Temperatur weiter, wird der Atemantrieb gedämpft und das Bewusstsein getrübt. Unterhalb von 30 °C treten dann Herzrhythmusstörungen hinzu.

Anästhesie

Die während der Operation gemessene Körpertemperatur sinkt generell nach Narkoseeinleitung, weil die Anästhesie eine Vasodilatation induziert. Dadurch wird die Wärme vom Kern zur Peripherie umverteilt. Ohne tatsächlichen Wärmeverlust vermindert sich die gemessene Körperkerntemperatur um 1 °C innerhalb der ersten Stunde. Dieser Effekt wird durch einen Periduralkatheter noch verstärkt. Die induzierte Vasodilatation gefährdet den Patienten im Vorbereitungs- und Operationsraum, denn er kühlt dadurch leichter aus. Die modernen Anästhetika beeinflussen außerdem die Thermoregulation, indem sie die thermische Neutralzone auf 4 °C erweitern. Dadurch wird selbst bei einer Hypothermie keine Gegenregulation vom Hypothalamus eingeleitet. Zusätzlich ist während der Narkose die Wärmebildung eingeschränkt. Die metabolische Wärmebildung bleibt zwar weitgehend erhalten, aber das Muskelzittern ist deutlich eingeschränkt. Es resultiert deshalb ein kontinuierlicher Nettowärmeverlust, so dass die Temperatur ohne geeignete Gegenmaßnahmen stetig fällt.

Wärmeverteilung nach Vasodilatation in Allgemeinnarkose

Operation

Wenn der Patient in den Operationssaal gebracht wird, sollte die unbedeckte Phase bei der Lagerung, Abwaschung und Abdeckung so kurz wie möglich gehalten werden, damit wenig Wärme durch Strahlung verloren geht. Alle Körperteile sind rasch zu bedecken. Eine abdominale oder laparoskopische Operation erhöht nicht gravierend den Wärmeverlust. Sollte allerdings bei einem laparoskopischen Eingriff sehr viel CO2 durch die Abdominalhöhle geflutet werden, erhöht sich der Wärmeverlust durch die Verdunstung des nicht angefeuchteten Kohlendioxids. Dem Wärmeverlust könnte man nur entgegnen, wenn das Gas angefeuchtet werden würde. Einfaches Anwärmen des Gases ist möglich, aber nicht so effektiv.

Alter und Adipositas

Ältere Menschen kühlen intraoperativ schneller aus als jüngere, weil sie einen niedrigeren Schwellenwert haben, der die gegenregulatorische Vasokonstriktion triggert. Auch die Erwärmungsphase dauert deutlich länger, weil die Wärmebildung durch gesteigerten Metabolismus oder Muskelzittern nicht so leistungsfähig ist. Adipöse Patienten sind besser „isoliert“ und verlieren deutlich weniger Wärme.

Raumtemperatur

Wenn der fast unbekleidete Patient in den Operationstrakt umgebettet wird und sein wärmendes Bett verlässt, ist er gefährdet, Wärme zu verlieren. Er sollte deshalb zu jeder Zeit durch eine Bettdecke bedeckt sein. Die Phasen unbedeckter Körperareale sollten auf ein Minimum beschränkt werden. Generell gilt: je wärmer die Umgebungstemperatur ist, umso weniger Wärme verliert der Patient. Die Raumtemperatur sollte unbedingt höher als 21 °C sein.

Folgestörungen

Eine intraoperative Hypothermie sollte unbedingt vermieden werden, weil sie nachweislich die postoperativen Komplikationen deutlich erhöht. In der Aufwärmphase bestehen weiterhin eine erhöhte Vasokonstriktion, ein erhöhter Blutdruck und eine Noradrenalinausschüttung. Der Sauerstoffverbrauch ist durch das Muskelzittern erhöht, so dass das kardiale Risiko steigt. Da auch die reaktiven Mediatoren der Leukozyten und die Phagozytosefähigkeit abnehmen, steigt das Risiko einer Wundinfektion auf das Zwei- bis Vierfache an.

Hypothermieprophylaxe

Es sollten konsequent alle möglichen Maßnahmen ergriffen werden, um eine Hypothermie zu vermeiden. Patienten werden solange wie möglich mit einer Bettdecke bedeckt, auf einer Wärmematte gelagert und während der Operation wird aktiv Wärme zugeführt. Infusionslösungen sollten angewärmt werden und die Raumtemperatur beträgt am Besten 21–25 °C.