Bachelorarbeit an der Fernuniversität in Hagen, der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften im Studiengang Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft und Soziologie zum Thema:
Die Bedeutung des Rational-Choice-Ansatzes im Modell der Frame-Selektion nach Esser/Kroneberg
1. Einleitung
Eine der wesentlichen Aufgaben der Soziologie als Wissenschaft besteht nach Max Weber darin, soziales Handeln zu deuten und zu verstehen, um es dadurch ursächlich erklären zu können (Weber 1990, S. 1) Dabei wird von Weber unterstellt, dass mit einer Handlung etwas beabsichtigt wird und eine Erklärung dann vorliegt, wenn der Sinn der Handlung verstanden wird. Es wird von Weber zugleich behauptet, dass das soziologische Erklärungsinteresse zwar darin liegt, kollektive Zusammenhänge zu erkennen, aber dies wird dadurch erreicht, indem individuelles Handeln erklärt wird. Aus der Sicht eines solchen methodologischen Individualismus sind soziale Phänomene nur erklärbar, indem unterstellt wird, dass Akteure sinnvoll handeln und dadurch die sozialen Phänomene bedingen. Es wird von vornherein als abwegig angesehen, dass kollektive Zustände direkt auf kollektive Zustände wirken bzw. dass es allgemeine kollektive Gesetzmäßigkeiten geben könne, die die kollektiven Zusammenhänge erklären könnten (Esser 2001a, S. 27; Schmid 2009, S. 50).
Die hier getroffene Entscheidung zugunsten des methodologischen Individualismus wirkt sich auf ontologische und epistemologische Annahmen der Analyse aus. Ontologisch wird unterstellt, dass alle sozialen Tatbestände auf individuelles Handeln reduzierbar sind und soziale Zusammenhänge als eigenständige Entitäten nicht existieren. Deshalb können soziologische Zusammenhänge auch nur begriffen werden, indem sie auf individuelles Handeln zurückgeführt werden. Damit muss jeder soziologische Zusammenhang im Makrobereich durch Zusammenhänge im Mikrobereich fundiert werden.
Um einerseits die Prinzipien des methodologischen Individualismus zu genügen und andererseits das soziologische Erkenntnisinteresse auf der Makroebene zu befriedigen, wurde das Makro-Mikro-Makro-Modell eingeführt (Coleman 1986, S. 1322). In diesem Modell wirken soziale Tatbestände der Makroebene auf den einzelnen Akteur und beeinflussen auf diese Weise sein Handeln auf der Mikroebene. Die einzelnen Handlungen wirken wiederum gebündelt bzw. aggregiert auf die Makroebene zurück und verändern somit die sozialen Tatbestände. Kollektive Zusammenhänge wären somit durch die beiden Übergänge von der Makroebene auf die Mikroebene und von der Mikroebene auf die Makroebene erklärbar. Auf der Mikroebene wird unterstellt, dass die Akteure zwar von der Makroeben beeinflusst werden, aber ansonsten autonome Entscheidungen gemäß einer allgemeingültigen Handlungstheorie treffen.
Von Esser und Kronberg wird das Modell der Frame-Selektion als allgemeine Handlungstheorie propagiert. Aufbauend auf der Wert-Erwartungstheorie im Rahmen der Rational-Choice-Theorie erweiterten sie den Anwendungsbereich, indem sie Elemente anderer soziologischer Paradigmen wie des symbolischen Interaktionismus und des Strukturfunktionalismus sowie der Einstellungsforschung integrierten (Kroneberg 2011, S. 317f.). Bei der Modellierung der Handlungstheorie verwenden sie die Sprache der subjektiven Erwartungsnutzentheorie (Expected Utility) (SEU-Theorie). Das Modell der Frame-Selektion geht wesentlich über den Ansatz der Rational-Choice-Theorie hinaus, weil es die besonderen Bedingungen konkretisiert, unter denen sich der Akteur entscheidet. Es wird anerkannt, dass der komplexe Kontext der Situation, die Definition der Situation, die Selektion der Handlung maßgeblich beeinflusst (Kroneberg 2011, S. 317).
Da Esser in dem Modell der Frame-Selektion nicht nur eine einfache Erweiterung der Rational-Choice-Theorie sieht, sondern das Modell auch einer anderen „inhaltlichen“ Selektionslogik folgt als die Rational-Choice-Theorie (Esser 2006, S. 358f.), wäre zu überprüfen, inwieweit das Modell der Frame-Selektion überhaupt noch der Rational-Choice-Theorie bzw. der SEU-Theorie bedarf. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass das Modell der Frame-Selektion zwar die SEU-Sprache verwendet, aber ihr inhaltlich nicht mehr folgt.
In der vorliegenden Studie soll deshalb untersucht werden, ob das Modell der Frame-Selektion überhaupt noch die SEU-Theorie als Ausdruck der Rational-Choice-Theorie benötigt oder ob es möglicherweise vollständig auf sie verzichten kann. Da die Rational-Choice-Theorie nicht gleichbedeutend mit der SEU-Theorie ist, sondern sich unter diesem Begriff unterschiedliche Ansätze verstehen lassen, müssen diese sorgfältig differenziert werden, bevor die Frage beantwortet werden kann.
Die gesamte Analyse beschränkt sich von vornherein auf Entscheidungen über die Handlungen einer Person, so dass sich die gesamte Argumentation im Rahmen der Nutzentheorie bewegt. Interaktionen oder strategisches Handeln zwischen Personen bleiben bewusst unberücksichtigt, obgleich sie eigentlich der Kernbereich einer soziologischen Untersuchung sein sollten. Es wird aber (argumentum a fortiori) unterstellt, dass, sollte die Rational-Choice-Theorie im Modell der Frame-Selektion bereits im Rahmen der Nutzentheorie verzichtbar sein, dieser Verzicht auch auf strategische Entscheidungen zwischen mehreren Personen zutreffen würde.
In einem ersten Schritt werden diejenigen Aspekte der Rational-Choice-Theorie skizziert, die für den Untersuchungsablauf von Belang sind, und dabei werden vier verschiedene Ansätze basierend auf dem Rationalitätsprinzip und der Rational-Choice-Theorie definiert. Diese unterschiedlichen Ansätze werden nach ihren formellen und inhaltlichen Anforderungen einer instrumentellen Rationalität geordnet. Die höchsten Anforderungen erfüllt der Ansatz des homo oeconomicus (RO), die zweithöchsten der Ansatz der beschränkten Rationalität (RB), die dritthöchsten der Ansatz der heuristischen Rationalität (RH) und die geringsten der Ansatz des Rationalitätsprinzips (RP).
In einem zweiten Schritt wird aus der Perspektive des methodologischen Individualismus das Makro-Mikro-Makro-Modell zusammenfassend dargestellt, wobei das Hauptaugenmerk auf der Logik der Situation liegen wird. In der Logik der Selektion wird die besondere Bedeutung der SEU-Theorie als verbindliche Handlungstheorie kurz erläutert. Danach wird als verbesserte allgemeine Handlungstheorie das Modell der Frame-Selektion im Detail vorgestellt. Dabei werden die Grundannahmen der beiden Modi der Selektion dargestellt, um den fundamentalen Unterschied des automatischen und des reflexiven Modus zu verstehen. Des Weiteren werden die drei Selektionsmodelle (Frame, Skript, Handlung) analysiert.
In einem dritten Schritt wird überprüft, welche der definierten rationalen Ansätze überhaupt noch für einen der sechs möglichen Selektionsschritte (Modus * Modell) erforderlich ist, damit das Modell der Frame-Selektion funktioniert.
Dabei wird sich herausstellen, dass die SEU-Sprache bei der Modellierung des Modells der Frame-Selektion zwar häufig verwendet wird, aber inhaltlich nur noch das Rationalitätsprinzip RP notwendig und hinreichend ist. Die anderen Ansätze könnten für die Selektion der Handlung zwar hilfreich sein, sind aber nicht unbedingt erforderlich. Damit könnte das Modell der Frame-Selektion auf die SEU-Theorie vollständig verzichten bzw. das Modell wäre auch mit anderen Selektionsregeln verträglich.
2. Rational-Choice-Ansatz
Eine allgemeine Handlungstheorie thematisiert, inwieweit es einem Akteur in einer konkreten Situation gelingt, mit seinem Wissen und seiner Erfahrung ein Problem zu lösen (Kroneberg 2011, S. 156). In einer rationalen Handlungstheorie wird unterstellt, dass Menschen sinnvoll handeln, indem sie sich rational entscheiden. Eine Entscheidung, eine bestimmte Handlung auszuführen und eine andere nicht, kann selbst wiederum als kognitiver Vorgang oder als Handeln interpretiert werden.
Entscheidungen als Handeln sind bei genauerer Betrachtung komplexe Prozesse von Einzelnen (oder mehreren Personen), die analytisch in mehrere Schritte eingeteilt werden können (Grüning, Kühn, 2017). Der erste Schritt des Prozesses besteht in der Wahrnehmung eines Problems, das sich einer Person aufdrängen muss, so dass sie sich bewusst und überlegt diesem Problem zuwendet. Unbewusstes Handeln bliebe damit ausgeklammert. Im zweiten Schritt wird sich die betroffene Person wahrscheinlich weitere Informationen beschaffen, um das gesamte Ausmaß des Problems sowie des Umfeldes zu erfassen und somit den Rahmen möglicher Lösungswege einzugrenzen. Die Person wird außerdem die vorhandenen Ressourcen und Beschränkungen daraufhin bewerten, welche Handlungsoptionen als Lösungen tatsächlich verfügbar sind. Im dritten Schritt wird sie die möglichen Lösungswege sorgfältig bewerten und die beste Lösung auswählen, wobei sie sich über die möglichen Konsequenzen der unterschiedlichen Alternativen klar sein muss sowie ihre Präferenzen und Ziele nicht aus den Augen verlieren darf.
Eine derartig systematische und bewusst getroffene Entscheidung ist ein aufwendiger Prozess, der als vernünftig bezeichnet werden könnte, wenn die gewählte Handlung tatsächlich auch für Außenstehende als gut begründet erschiene. Ein Entscheidungsprozess ist nach Grüning und Kühn gut begründet, wenn er drei Bedingungen erfüllt: Erstens muss er sich auf ein Ziel richten; zweitens sollte er auf möglichst objektiven und vollständigen Informationen beruhen; und drittens sollte der Prozess klaren methodischen Regeln folgen, die für andere nachvollziehbar sind (Grüning, Kühn 2017, S. 34). Erfolgreich muss der Entscheidungsprozess allerdings nicht sein, denn rationale Entscheidungen können scheitern, während irrationale Entscheidungen äußerst erfolgreich sein können. Wer zum Beispiel sein gesamtes Vermögen beim Roulette auf eine Zahl setzt, könnte auch gewinnen.
2.1 Rationales Handeln und Rationalitätsprinzip
Begrifflich werden diejenigen körperlichen Aktivitäten, die bei einer Person äußerlich feststellbar sind, als Verhalten bezeichnet. Von einem rationalen Verhalten kann gesprochen werden, wenn das Verhalten absichtlich, zweckgerichtet und angemessen erfolgt. Wenn sich der Mensch als animal rationale verhält, dann richtet er sich unter anderem nach Prinzipien einer instrumentellen Vernunft, er denkt nach, verarbeitet Informationen und Theorien über ein angemessenes Handeln und richtet sich darauf aus, den intendierten Zweck zu erreichen. In solchen Fällen wird das rationale Verhalten auch Handeln genannt bzw. einzelne Episoden als Handlungen bezeichnet. Erst durch die Absicht, die Intention, ein Ziel zu erreichen, konstituiert sich Handeln und erst dann lässt sich nach dem subjektiven Sinn des Handelns fragen (Weber 1990, S. 1; Miebach 2014, S. 20f.). Diese Fähigkeit des Menschen, sich als animal rationale intentional zu verhalten, wird als anthropologische Grundkonstante angesehen, die zugleich als ein „schwaches“ und unbezweifelbares Rationalitätsprinzip angesehen werden kann (Kirchgässner 2013, S. 262). Sie ist zugleich das anthropologische Fundament für die weiteren Rationalitätskonzepte.
Handeln hat demnach einen Grund, nämlich die Absicht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen (Kroneberg 2011, S. 32). Wird eine Person danach gefragt, warum sie sich dafür entschieden hat, eine bestimmte Handlung auszuführen und eine andere nicht, wird erwartet, dass die Person ihre Gründe mitteilt, ihre Absichten, ihre Motive, die sie dazu bewogen haben, so zu handeln und nicht anders. Dazu gehört häufig auch die Angabe von Gründen, warum die Handlung als ein geeignetes Mittel angesehen wurde, das Ziel zu erreichen.1
Was müsste Handeln auszeichnen, um es zusätzlich als rational zu charakterisieren? Wann ist eine Handlung rational bzw. vernünftig? Offensichtlich reicht die Intentionalität nicht aus, denn nicht jedes absichtliche Verhalten bzw. Handeln ist rational. Von einem rationalen Handeln wird zusätzlich erwartet, dass nicht beliebige Gründe angeben werden, sondern besonders gute Gründe, und das nicht eine beliebige Handlung gewählt wird, sondern eine vorzugswürdige. Als Rationalitätsprinzip für Handlungen könnte somit gelten, dass eine rationale Handlung durch „gute“ Gründe zu begründen ist.2
Was sind „gute“ Gründe oder wann ist eine Handlung besser als eine andere? Es wird im Folgenden versucht, unterschiedliche Standards für „gute“ Gründe des instrumentellen Handelns zu formulieren, weil sich „gute“ Gründe nur kontextsensitiv formulieren lassen. Ein Akteur könnte zum Beispiel eine Handlung H1 ausführen, weil er sich davon einen Nutzen verspricht. Wären für den Akteur in der konkreten Situation aber vier Handlungsalternativen H1, H2, H3 und H4 durchführbar gewesen und hätte er davon eine beliebige ausgewählt, – ohne besonders darüber nachzudenken -, dann hätte es zwar Gründe für die Handlung H1 gegeben, aber keine „guten“ Gründe. Von „guten“ Gründen hätten wir erwartet, dass der Akteur sagt, warum er genau die konkrete Alternative H1 wählte und nicht eine andere. Erst wenn der Akteur begründet hätte, dass die ausgewählte Handlung zu einem höheren Nutzen geführt hat als die anderen Handlungen oder wenn sie weniger Ressourcen verbrauchte, würde die Wahl als vorzugswürdig, als rational bzw. vernünftig akzeptiert.
Damit ist eine rationale Handlung eine Handlung, die aufgrund einer rationalen Entscheidung gewählt wurde. Wenn zwei Handlungsalternativen H1 und H2 gewählt werden könnten und für den Akteur erkennbar ist, dass H1 eindeutig besser, geeigneter oder nützlicher ist, dann ist die Entscheidung zugunsten von H1 rational. Würde der Akteur dagegen H2 wählen, würde die Auswahl der Handlung als irrational bezeichnet. Demnach reicht es für eine rationale Entscheidung nicht aus, eine Wahl nach Belieben zu treffen, sondern es bedarf einer qualifizierten Selektionsregel, nach Besserem oder Nützlicherem zu streben.3
Bei einer rationalen Handlung könnte nach Schnabel sogar noch zwischen einer Wunschkomponente und einer Überzeugungskomponente differenziert werden (Schnabel 2005, S. 280), wenn unterstellt wird, dass der Akteur diejenige Alternative wünscht (will), die er für das Beste hält, und wenn der Akteur zugleich davon überzeugt ist, dass diese Alternative zum bestmöglichen Resultat führt. Die Überzeugung würde damit die Handlung unter der Sicht der konkreten Situation begründen und der Wunsch zugleich das Motiv offenbaren, warum nach dem Ziel gestrebt wird.
Damit von rationalem Handeln gesprochen werden kann, müssen drei Bedingungen erfüllt sein (Diekmann 1996, S. 91ff.): Erstens müsste der Akteur selbständig handeln wollen (Kirchgässner 2013, S. 263). Zweitens müsste der Akteur beim Handeln über einen Entscheidungsspielraum verfügen und somit zwischen alternativen Handlungen wählen können. Und drittens müsste durch eine explizite und bekannte Entscheidungsregel festgelegt werden, welche alternative Handlung ausgeführt werden sollte. Mit diesen Bedingungen ist der formelle Rahmen festgelegt, den alle Handlungen erfüllen müssen, wenn sie als rational charakterisiert werden sollen.
2.2 Rational-Choice-Theorie
Das Besondere der Rational-Choice-Theorie wird mit dem Bisherigen noch nicht erfasst, denn es basiert auf einem sehr viel differenzierteren Menschenbild. Bisher wurde dem Menschen nur die Fähigkeit zugesprochen, sich intentional zu verhalten bzw. zu handeln und sich zusätzlich durch rationales Handeln auszuzeichnen, das ein Streben nach der besseren Handlungsalternative beinhaltet.
Die Rational-Choice-Theorie benötigt ein anspruchsvolleres Menschenbild (Kirchgässner 2013, S. 265). Danach sieht sich der tätige Mensch immer beschränkten Ressourcen ausgesetzt, die ihn in seinen Möglichkeiten einschränken (Restricted); der Mensch geht lernend und mit Bedacht mit den beschränkten Ressourcen um (Resourceful); der Mensch sieht die Folgen seiner Handlungen mit subjektiven Wahrscheinlichkeiten voraus (Expecting); der Mensch hat geordnete Präferenzen und bewertet die Folgen seiner Handlung danach (Evaluating); und der Mensch versucht den erwarteten Nutzen zu maximieren (Maximizing) (Lindenberg 1985, S. 100).
Dieses Menschenbild, dass unter dem Akronym RREEMM bekannt ist, erscheint auf den ersten Blick plausibel, weil es aus dem Alltag vertraut erscheint. In einer konkreten Situation könnte zum Beispiel ein Akteur daran interessiert sein, bestimmte Ressourcen (Spaghetti und Rotwein) zu kontrollieren, um Hunger und Durst zu stillen. Wenn er die Ressourcen aber selber nicht kontrolliert, weil nur der Restaurantbesitzer über sie verfügt, dann er wird er sich zielgerichtet zum Essen in das Restaurant begeben müssen. Würde dagegen der Akteur die Ressourcen kontrollieren, indem er sie zuvor gekauft hätte, dann bräuchte er nicht ins Restaurant einkehren, sondern könnte sie zu einem Essen mit Freunden einsetzen, um das Ziel (Treffen mit Freunden) zu erreichen. Insgesamt wird mit diesem Menschenbild unterstellt, dass Akteure situationsgerecht und vernünftig handeln, indem sie Probleme lösen und dabei ihre beschränkten Ressourcen optimal einsetzen.
Allerdings ist fraglich, ob der Mensch mit diesem Menschenbild wirklich in seinem Wesen erfasst wird oder ob es nicht zu einseitig auf den wirtschaftlichen Blickwinkel eingeengt ist. Das Menschenbild des RREEMM unterstellt, dass ein Akteur in der Regel nur dann ein Ziel auswählt, wenn er sich beim Erreichen des Zieles einen Nutzen verspricht. Das Ergebnis der Handlung, die Handlungsfolge bzw. Konsequenz, muss für ihn nützlich, erstrebenswert oder wertvoll sein, denn nur dann würde sich die Handlung für ihn lohnen. Einfach nur Handeln wäre bei diesem Menschenbild eine Verschwendung von Zeit und Energie.
2.3 Nutzentheorie
Die vorliegende Untersuchung vereinfacht die Rational-Choice-Theorie bewusst auf die Nutzentheorie und schließt Aspekte der Spieltheorie völlig aus. In der Nutzentheorie werden Entscheidungssituationen behandelt, in denen der Akteur zwar auf seine Umgebung achtet, aber die Interaktionen mit anderen Akteuren unberücksichtigt lässt (Braun 2013, S. 401). Damit bleiben strategische Entscheidungssituationen und Spielsituationen außerhalb des Untersuchungsbereiches.
Der Kern der Entscheidungs- bzw. Nutzentheorie ist die Erwartungsnutzentheorie (expected utility), die darauf basiert, dass die erwarteten Folgen der Handlungsalternativen mit einem Nutzen bewerten werden und dann diejenige Alternative gewählt wird, die den höchsten Gesamtnutzen aufweist. Die Grundprinzipien der Nutzentheorie werden erklärt, um daraus verschiedene Ansätze abzuleiten.
2.3.1 Alternativen und Handlungsfolgen
Exemplarisch leidet ein Akteur an einer Erkrankung und es stehen ihm zwei Handlungsalternativen H1 und H2 zur Verfügung, die zu jeweils unterschiedlichen Folgen (F1, …, F5) führen. Die Handlung H1 entspricht zum Beispiel einer Operation, die zu zwei Folgen führen kann: erfolgreiche Operation (Folge F1) oder Misserfolg (Folge F2). Alternativ könnte der Akteur als Handlung H2 auch ein Medikament einnehmen, was zur Heilung (Folge F3), weiterbestehender Entzündung (Folge F4) oder Tod (Folge F5) führen könnte.
Natürlich könnte der Akteur auch gar nichts tun, – und an seiner Erkrankung sterben -, oder aber er tut etwas völlig anderes als erwartet oder als er selbst beabsichtigt (Akrasia). In allen diesen Fällen könnten die Handlungen nicht als vernünftig rekonstruiert bzw. verstanden werden, so dass sie im Weiteren unberücksichtigt bleiben.
Es wird unterstellt, dass sich die Alternativen H1 und H2 wechselseitig ausschließen und unabhängig voneinander zu den Folgen führen. Außerdem wird angenommen, dass der Akteur die Entscheidung bewusst und selbständig trifft.
2.3.2 Bewertungen, Präferenzen und Nutzen
Die individuellen Einstellungen, die der Akteur zu den jeweiligen Handlungsfolgen (F1, …, F5) einnimmt, werden als Präferenzen bezeichnet. Sie sind fast immer stark kontextabhängig, denn sowohl das angestrebte Ziel und die verfügbaren Ressourcen als auch die gesamten Begleitumstände können die individuelle Einstellung beeinflussen.
Wie deutlich werden wird, sind geordnete Präferenzen eine conditio sine qua non der Nutzentheorie. Zu geordneten Präferenzen gelangt der Akteur, indem er alle Handlungsfolgen Fx und Fy gemäß einer einfachen Relation bewertet: Fx wird gegenüber Fy präferiert, wobei unbestimmt bleibt, worauf die Präferenz beruht (Eisenführ und Weber 1994, S. 30). Der Akteur bewertet jede einzelne Folge (F1, …, F5) und ordnet sie gemäß ihrer Präferenz. Erst dann kann eine Nutzenfunktion modelliert werden, die jede Präferenz mit einer Zahl ausdrückt. Diese Zahlen drücken den Nutzen (N1, …, N5) für den Akteur aus. Damit die Nutzenfunktion als Repräsentation der Präferenzen bei Entscheidungen unter Sicherheit aufgefasst werden können, müssen die Präferenzen stabil und wohldefiniert geordnet sein. Diese Präferenzordnung ist nur möglich, wenn die Präferenzen vollständig, konsistent und transitiv sind (Braun 2013, S. 404; Mahmoud 2017, S. 569f.; Rieskamp et al. 2006, S. 633). Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, kann keine Nutzenfunktion aufgestellt werden.
Je nachdem, ob die Rational-Choice-Theorie instrumentell oder realistisch interpretiert wird, wird der Begriff des Nutzens unterschiedlich verwendet (Rechenauer 2009, S. 73 f.). In der instrumentellen Deutung wird er als formaler Nutzen NF angesehen, der nur über die Nutzenfunktion definiert ist, während er in der realistischen Deutung als substantieller Nutzen NS interpretiert wird, der sich auf konkrete Nutzen bezieht. Diese Unterscheidung zwischen NF und NS ist deshalb so wichtig, weil viele Missverständnisse über die Rational-Choice-Theorie darauf beruhen, dass NS unreflektiert als die Standardinterpretation verwendet wird, obgleich die meisten Anhänger der Rational-Choice-Theorie nur die instrumentelle Interpretation für geeignet halten (Tutic 2016, S. 141).
Bei einem substantiellen Nutzen NS wird festgelegt, worin der Nutzen tatsächlich für den Akteur besteht. Bei Esser besteht der Nutzen darin, soziale Anerkennung zu gewinnen oder körperliche Bedürfnisse zu befriedigen (Esser 2001a, S. 92). Ein Akteur handelt, um einen derartig spezifizierten Nutzen zu produzieren (Esser 2001a, S. 86). Und er zieht eine Alternative einer anderen nur vor, weil der definierte Nutzen NS höher ist als bei den anderen Alternativen. Dieser noch von Esser verwendete Nutzenbegriff NS ist weder verträglich mit der instrumentellen Deutung der Nutzentheorie (Linnebach 2016, S. 127) noch der letzten Version des Modells der Frame-Selektion, denn das Modell übernimmt „die im RC-Ansatz vorherrschende technische Interpretation von Nutzenfunktionen als Ausdruck von Präferenzen.“ (Kroneberg 2011, S. 142) Hier besteht der formale Nutzen NF lediglich in seiner Repräsentationsfunktion als Zahl (Rechenauer 2009, S. 74; Schmid 2011, S. 220f.), die durch die spezielle Nutzenfunktion modelliert wurde. Die Nutzenfunktion ordnet die Handlungsfolgen gemäß der Präferenz des Akteurs jeweils eine reelle Zahl zu, dem Nutzen NF. Der Nutzen ist üblicherweise ordinal skaliert und repräsentiert somit lediglich eine Rangordnung. Aus dem so formulierten höheren Nutzen NF kann lediglich gefolgert werden, dass der Akteur die präferierte Folge höher bewertet als eine andere. Dabei wird weder eine inhaltliche Festlegung getroffen noch werden die Abstände zwischen den Werten interpretiert.
Es ist äußerst wichtig, die fundamentale Bedeutung einer geordneten Präferenzordnung des Akteurs zu verstehen. Wenn der Akteur nämlich seine Präferenzen eindeutig geordnet hat, dann hat er damit auch ausgedrückt, was ihm wichtiger oder nützlicher ist, denn eine höhere Präferenz bildet sich in einem höheren Nutzen ab (Earl 1990, S. 761). Wenn ein Akteur eine Handlungsfolge F1 gegenüber einer anderen Folge F2 präferiert, – und sie somit auch mehr Nutzen NF für ihn hat -, dann wird zu Recht erwartet, dass er die Folge auch anstrebt und somit die geeignete Handlung wählt. Würde ein Akteur F1 präferieren, aber dennoch eine Handlung wählen, die zur Folge F2 führt, dann wäre seine Entscheidung unverständlich, unvernünftig, irrational und inkonsistent mit seiner Präferenzordnung (Rieskamp et al. 2006, S. 633). Für andere Akteure würde rationales Handeln nur verständlich sein, wenn er konsistent handelt, wenn sich der Akteur an seine Präferenzen hält. Rationales Handeln wird somit zum konsistenten Handeln (Tutic 2015, S. 85).
Damit wird der in der Rational-Choice-Theorie verankerte Imperativ verständlich, dass ein Akteur diejenige Handlung wählen sollte, die ihm den größten Nutzen bringt (Green, Shapiro 1999, S. 24f.). Wer seine Präferenzen ordnen kann und wer ihnen gemäß konsistent handelt, der wird immer die Handlung wählen, die den größeren Nutzen NF bringt. Daran ist nicht ein besonderer Nutzenbegriff schuld, sondern das Vermögen einer Person, seine Präferenzen zu ordnen – nicht mehr und nicht weniger. Wenn von Esser behauptet wird, dass in der Logik der Selektion die Regel des Handelns darin liegt, den erwarteten Nutzen zu maximieren (Esser 2001a, S. 258), dann drückt das nur aus, dass der Akteur eine Präferenzordnung setzt und danach handelt (Rieskamp et al. 2006, S. 651). „Maximiere den Nutzen NF“ bedeutet somit nur: „wähle die Handlung mit der höchsten Präferenz“ (Linnebach 2016, S. 126).
Umgekehrt bedeutet dieser Zusammenhang aber auch, dass der Nutzen nicht maximiert werden kann, wenn keine Präferenzordnung vorliegt.
2.3.3 Erwartungen und Wahrscheinlichkeiten
Die Berechnung eines erwarteten Nutzens hängt wesentlich davon ab, für wie wahrscheinlich das Eintreten eines Ereignisses bzw. der Folge gehalten wird. In den meisten Situationen kann der Akteur nicht mit Sicherheit voraussagen, welche Folge seine Handlung tatsächlich haben wird. Er muss immer damit rechnen, etwas nicht ausreichend berücksichtigt zu haben, so dass eine andere und vielleicht auch eine nicht beabsichtigte Folge eintritt. Möglicherweise interagiert auch ein zufällig auftretendes Ereignis mit der eigenen Handlung und verändert damit die gesamten Bedingungen, so dass eine andere Folge eintritt.
Insgesamt werden drei Arten der Unsicherheit in Entscheidungssituationen unterschieden (Esser 2001a, S. 254f.): Entscheidungen können unter Sicherheit, unter Risiko oder unter Unsicherheit des Eintretens der Folgen vorgenommen werden. Eine Entscheidung unter Sicherheit zeichnet sich dadurch aus, dass sie genau zu der bekannten und erwünschten Folge einer ausgewählten Handlung führt und der Akteur perfekt über Handlung und ihre Folge informiert ist. Diese Situationen sind insgesamt selten und bleiben deshalb unberücksichtigt.
Am Häufigsten treten Entscheidungen unter Risiko auf, bei denen der Akteur eine bestimmte Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Folgen erwartet (Braun 2013, S. 404f.). Inhaltlich werden die Wahrscheinlichkeiten als subjektivistisch und nicht als frequentistisch interpretiert (Eisenführ und Weber 1994, S. 150 f.). Wahrscheinlichkeiten sind damit individueller Ausdruck von Meinungen über einen Sachverhalt.
Entscheidungen unter Unsicherheit liegen dann vor, wenn der Akteur über so wenig Informationen verfügt, dass er eine Wahrscheinlichkeit des Eintretens der Folgen nicht verlässlich einschätzen kann. In diesen Situationen wird er gezwungen sein, sich entweder zusätzliche Informationen zu beschaffen, um dann eine Wahrscheinlichkeit zu schätzen, oder er wird eine Entscheidungsregel einsetzen, die davon abhängt, ob er eher ein risikoscheuer, risikoindifferenter oder risikofreudiger Akteur ist. Manche Akteure präferieren als Pessimisten eher diejenige Handlung, welche beim Eintreten der ungünstigsten Folge am größten ist gemäß der Maximin-Regel (Esser 2001a, S. 289f.). Andere Akteure sind dagegen optimistischer und entscheiden nach der Maximax-Regel. Sie wählen dann diejenige Handlung, die beim Eintreten der günstigsten Folge am größten ist. Auch die Entscheidungen unter Unsicherheit bleiben im Folgenden unberücksichtigt, denn ohne vermutete Wahrscheinlichkeiten kann keine Berechnung vorgenommen werden.
2.3.4 Subjektive Erwartungsnutzentheorie (SEU)
Für die von Neumann und Morgenstern begründete Erwartungsnutzentheorie ist unabdingbar, dass eine Nutzenfunktion u(Fi) vorliegt, die jeder Folge Fi eine reelle Zahl zuordnet, ohne dass eine weitere Skalierung erforderlich wird (von Neumann, Morgenstern 1947). Es soll betont werden, dass diese Nutzenfunktion die Präferenzen nur dann abbildet, wenn die Präferenzen die Axiome der vollständigen Ordnung, Stetigkeit und Unabhängigkeit erfüllen (Eisenführ und Weber 1994, S. 203).
Aufgrund der Wahrscheinlichkeiten pi des Eintretens der Folgen (Fi) und des jeweiligen Nutzens kann der erwartete Nutzen (EU=Expected Utility) für jede Alternative Hi nach der Formel „EU(Hi)=?pi*u(Fi)“ berechnet werden (Esser 2001a, S. 257). Wer sich rational verhält, der würde dann nach der EU-Theorie diejenige Alternative wählen, die zum größten erwarteten Nutzen (EU) führt.
Von Savage wurde nachgewiesen, dass aus den Präferenzaussagen auch Wahrscheinlichkeitsaussagen abgeleitet werden können, so dass statt objektiver Wahrscheinlichkeiten die persönlichen Glaubwürdigkeiten bzw. Vermutungen der Akteure verwendet werden können (Savage 1972). Diese Glaubwürdigkeiten werden als subjektive Wahrscheinlichkeiten bezeichnet, so dass die Erwartungsnutzentheorie zur subjektiven Erwartungsnutzentheorie (SEU-Theorie) weiterentwickelt wurde, die analog den subjektiv erwarteten Nutzen einer Handlung berechnet (Lindenberg, Frey 1993, S. 201; Esser 2001a, S. 344).
Für rationales Handeln gemäß der SEU-Theorie müssen insgesamt folgende Grundannahmen erfüllt sein (Esser 2001a, S. 297; Schmid 2009, S. 51f.):
1. Der Akteur muss die Menge der verfügbaren Handlungsalternativen kennen und eindeutig voneinander unterscheiden.
2. Der Akteur muss über eine klar definierte, vollständige und konsistente Präferenzordnung verfügen.
3. Der Akteur kennt die Wahrscheinlichkeiten, mit denen die Folgen der Handlungen zu erwarten sind.
4. Es wird diejenige Alternative gewählt, die den Nutzen maximiert.
2.4 Ansätze der instrumentellen Rationalität
Aufbauend auf diesen Grundannahmen werden Anforderungen formuliert, die jeder Ansatz einer instrumentellen Rationalität erfüllen sollte. Die höchsten Anforderungen erfüllt der Ansatz des homo oeconomicus (RO), die zweithöchsten der Ansatz der beschränkten Rationalität (RB), die dritthöchsten der Ansatz einer heuristischer Rationalität (RH) und die geringsten der Ansatz des Rationalitätsprinzips (RP).
2.4.1 Homo oeconomicus
Ursprünglich wurde das Modell des homo oeconomicus in der Mikroökonomie entwickelt und bezeichnet einen Menschen, der seine Entscheidungen ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten trifft. In dem Modell werden die Akteure ausschließlich als Konsumenten oder Produzenten abgebildet, die über alle relevanten Informationen (Kosten, Nutzen, Güter und Märkte) verfügen, alle Entscheidungsalternativen kennen und somit immer optimale rationale Entscheidung gemäß der SEU-Theorie treffen können (Lindenberg, Frey 1993, S. 194).
Der homo oeconomicus kennt und berücksichtigt nur egoistische Ziele und strebt unter Aufwendung aller verfügbaren Mittel danach, seinen eigenen Nutzen zu maximieren, ohne sich um die Bedürfnisse oder Belange anderer Menschen zu kümmern (Kron, Winter 2013, S. 45). In der Ökonomie wurde der Akteur bewusst und gewollt idealisiert und aller empirischen Unzulänglichkeiten beraubt, damit er in mathematische Modelle integriert werden konnte. Es ging den Ökonomen bei der Modellierung nicht um eine realitätsnahe Nachbildung individueller Entscheidungen, sondern um eine Repräsentation der Dynamik von Märkten, denn sie wollten die Reaktionen von Marktveränderungen verstehen (Ross 2014, S. 412). Es kann deshalb nicht verwundern, dass die Entscheidungen eines homo oeconomicus nicht vereinbar sind mit empirischen Phänomenen des Altruismus, der Reziprozität oder der inneren Verpflichtung (Kirchgässner 2013, S. 270).
Auch wenn der homo oeconomicus nicht „real existiert“, ist er doch als Idealtypus ein fruchtbares Modell, um zu analysieren, wie perfekt rationale Marktteilnehmer entscheiden würden. Er wird hier als extremer („enger“) Ansatz der Rational-Choice-Theorie (RO) modelliert. Er muss die Bedingungen der Nutzentheorie im Sinne der SEU-Theorie und die folgenden vier Anforderungen erfüllen (Opp 1999, S. 173f.):
1. Der Akteur muss alle verfügbaren Handlungsalternativen einschließlich der Einschränkungen und verfügbaren Ressourcen kennen.
2. Der Akteur richtet sich nur nach seinen egoistischen Präferenzen.
3. Der Akteur ist vollständig informiert.
4. Es wird diejenige Alternative gewählt, die seinen Nutzen maximiert.
2.4.2 Beschränkte Rationalität
Da Personen nicht über alle Informationen verfügen können, die wichtig für die Entscheidung sein könnten, und da sie auch nicht nur strikt egoistisch handeln, sind die Anforderungen zu beschränken, die zuvor an den Idealtypus des homo oeconomicus gestellt wurden. Die Forderung, nach maximalem Nutzen zu streben, kann aufrecht erhalten bleiben, weil sich das Maximum nicht auf das allgemein oder denkbar „maximal Mögliche“ bezieht, sondern auf diejenige Folge, die in der konkreten Situation die höchste Präferenz aufweist (s. Kap. 2.3.2.).
Simon wies bereits 1955 daraufhin, dass die theoretische Unterstellung einer optimalen (globalen) Rationalität des homo oeconomicus einer beschränkten (bounded, limited) Rationalität des realen Menschen weichen müsse, wenn man sich am tatsächlichen Verhalten von Menschen orientiert (Simon 1955). Aufgrund der beschränkten kognitiven Fähigkeiten wird der Mensch gezwungen, sich in komplexen Situationen mit bescheideneren Ansprüchen zufrieden zu geben, als immer nach einer optimalen Lösung zu suchen. In allen konkreten Entscheidungssituationen herrschen Zeitnot und Informationsmangel, Personen kennen nicht alle Alternativen, entscheiden unter Risiko oder Unsicherheit und sind häufig unfähig, die Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, mit denen die Folgen eintreten. Sie suchen deshalb in der konkreten Situation nicht nach der besten (optimalen) Entscheidung, sondern nur nach einer, die ihre konkreten Ansprüche in der bestimmten Situation genügt („satisficing“), wobei das zu erfüllende Anspruchsniveau nicht ein für alle Male festgelegt ist, sondern sich im Laufe der Zeit oder in anderen Situationen verändern kann (Simon 1955, S. 111f.).
Sich mit einem gefundenen Ergebnis zufrieden zu geben und nicht unbestimmt nach einer optimalen oder doch nur besseren Lösung zu suchen, ist eine allgemein akzeptierte Suchstrategie, die sich auch experimentell bestätigen ließ (Caplin et al. 2011). Allerdings sind Simons allgemeine Ausführungen, was genau unter „satisficing“ zu verstehen ist, bisher nicht genau spezifiziert worden. Manski empfahl kürzlich, „satisficing“ durch ex ante Entscheidungen zu modellieren, die dem Prinzip des minimalen Bedauerns folgen (Manski 2017, S. 156). Dabei handelt es sich um das Modell eines pessimistischen Akteurs, der eine Entscheidung unter Unsicherheit zu treffen hat und dabei eine Handlung wählt, in der das maximale Bedauern minimiert wird. Obgleich das Modell theoretisch plausibel ist, konnte in einer experimentellen Studie nicht bestätigt werden, dass die Probanden tatsächlich so vorgehen, wie es das Modell prognostizierte (Hey et al. 2017, S. 345ff.).
Auch eine beschränkte Rationalität (RB) müsste gemäß der SEU-Theorie modellierbar sein und zugleich die folgenden vier Anforderungen erfüllen (Opp 1999, S. 173f.):4
1. Der Akteur kennt einige Handlungsalternativen einschließlich der subjektiv empfundenen Einschränkungen und verfügbaren Ressourcen.
2. Der Akteur richtet sich nicht nur nach seinen egoistischen Präferenzen.
3. Der Akteur ist soweit informiert, dass er eine fundierte Entscheidung treffen kann.
4. Es wird diejenige Alternative gewählt, die seinen Nutzen maximiert.
Auch die Prospect Theory von Kahnemann und Tversky (Kahnemann, Tversky 1979) wird unter RB subsumiert.
2.4.3 Heuristische Rationalität
Nachdem in empirischen Studien nachgewiesen wurde, dass sich Akteure in ihren Entscheidungen regelhaft viel stärker von der konkreten Situation beeinflussen lassen als erwartet, dass sie ihre Präferenzen eher nicht-linear bewerten anstatt linear, und dass sie ihre Verluste sogar höher bewerten als ihren Gewinn, war die SEU-Theorie und damit auch der Ansatz der beschränkte Rationalität RB als allgemeine Handlungstheorie falsifiziert (Etzrodt 2007, S. 67f.).5
Zugleich wurde in Studien beobachtet, dass die meisten Personen einfachere Heuristiken als Entscheidungsregeln verwenden, die selbst in komplexen Situationen zu erfolgreichen Lösungen führen (Baurmann 2008, S. 557). Allerdings verstoßen sie dabei häufig gegen Regeln der deduktiven Logik und Wahrscheinlichkeitstheorie und damit gegen den Kerngedanken von RO oder RB (Grüne-Yanoff et al. 2014).
Heuristiken wird eine Art „ökologischer“ Rationalität unterstellt, die angeblich auf einer Übereinstimmung zwischen Kognition und Umwelt basiert und dadurch sichert, dass das angestrebte Ziel auch in der Situation erreicht wird (Mousavi, Gigerenzer 2014, S. 1671). Ob die Anwendung einer bestimmten Heuristik aber rational ist oder nicht, hängt von der Situation ab, in der die Heuristik angewendet wird (Hands 2014, S. 398), denn es gibt keine Heuristik für alle Situationen. Personen verfügen nicht nur über eine einzige Heuristik, sondern ihr Verstand kann auf einen umfangreichen „heuristischen adaptiven Werkzeugkasten“ zurückgreifen, der ihnen hilft, fast alle anstehenden Probleme erfolgreich zu lösen (Hafenbrädl et al. 2016).
Die heuristische Rationalität (RH) gibt die SEU-Theorie auf und müsste demnach nur noch die vier folgenden Anforderungen genügen:
1. Der Akteur muss geeignete und verfügbare Handlungsalternativen einschließlich der Einschränkungen und verfügbaren Ressourcen kennen.
2. Der Akteur richtet sich aufgrund wechselnder Situationen nicht nach geordnete Präferenzen, sondern nur danach, für ein Problem eine geeignete bzw. befriedigende Lösung zu finden
3. Der Akteur ist eingeschränkt informiert.
4. Es wird diejenige Alternative gewählt, die sein Problem zufriedenstellend löst.
2.4.4 Rationalitätsprinzip
Das Rationalitätsprinzip (RP) ist die unverzichtbare Basis jeder rationalen Handlung (s. Kap. 2.1.). Eine Handlung darf nur dann als rational bezeichnet werden, wenn sie mindestens die folgenden vier Anforderungen erfüllt:
1. Der Akteur muss verfügbare Handlungsalternativen einschließlich der Einschränkungen und verfügbaren Ressourcen kennen.
2. Der Akteur richtet sich nach seinen Interessen.
3. Der Akteur ist hinreichend informiert.
4. Es wird diejenige Alternative gewählt, die seinen Interessen am besten entspricht.
Rationales Handeln gemäß RP hieße dann nur noch, nach einer akzeptierten Entscheidungsregel zu handeln, die zum besseren Resultat führt (Diekmann 1996, S. 92). Welche Entscheidungsregel eine Person konkret wählt, hängt von der Situation und dem Handlungsziel ab. RP ist somit eine Abschwächung von RH, weil die konkrete Heuristik nicht spezifiziert werden muss. Es reicht, wenn der Akteur zwischen Alternativen gezielt etwas Besseres wählt.
3. Das Makro-Mikro-Makro-Modell
Unter dem Postulat des methodologischen Individualismus hat sich das Makro-Mikro-Makro-Modell als Erklärungsmodell bewährt (Esser 2001a, S. 15 f.), das aus drei Schritten besteht. Im ersten Schritt wird durch Kontexthypothesen beschrieben, wie soziale Tatbestände situationsbedingt auf den Akteur gemäß der Logik der Situation wirken. Der Akteur wiederum wählt gemäß der Logik der Selektion eine der verfügbaren Handlungsalternativen auf der Mikroebene aus. Alle Handlungen der Akteure werden dann aggregiert und gemäß der Logik der Transformation zu einem neuen sozialen Tatbestand auf der Makroebene konstituiert.
3.1 Logik der Situation
Der erste Schritt im Makro-Mikro-Makro-Modell beschreibt den Übergang von der Makroebene auf die Mikroebene und wird als „Logik der Situation“ bezeichnet. In diesem Schritt wird typisiert, in welcher sozialen Situation sich der Akteur befindet und wie er durch diese Situation beeinflusst wird. Dabei werden sowohl die äußeren Bedingungen der Situation als auch die „innere Verfasstheit“ des Akteurs, seine Identität, seine Einstellungen, Motive und Präferenzen berücksichtigt.
Die äußeren Bedingungen einer Situation können analytisch in drei Elemente unterschieden werden: den materiellen Opportunitäten, den institutionellen Regeln sowie den signifikanten Symbolen innerhalb eines kulturellen Bezugsrahmens. Sie sind für andere Akteure äußerlich objektiv erkennbar. Mit den materiellen Opportunitäten wird ein möglicher Handlungsspielraum festgelegt, indem sich der Akteur aufgrund vorhandener und kontrollierter Ressourcen bewegen kann. Unter Ressourcen sind hier alle Arten des Kapitals zu verstehen. Dazu gehören neben dem ökonomischen Kapital und der Bildung auch das kulturelle, institutionelle, politische und soziale Kapital (Esser 2001b, S. 209 ff.).6 Sie leiten den Akteur als „Spielregel“ bei der Wahl seiner Handlung. Denn nur bei einer sinnvollen und regelkonformen Wahl wird der Akteur in der Situation richtig verstanden, wählt er die geeigneten und sozial gerechtfertigten Mittel und kann seine Entscheidung erfolgreich umsetzen. Besonders wichtig ist die Fähigkeit des Akteurs, signifikante Symbole seiner Umgebung korrekt zu deuten, denn erst durch die richtige Interpretation erkennt der Akteur den „richtigen“ Bezugsrahmen, so dass er auch wissen kann, welche Regeln gelten und welche Opportunitäten er einsetzen darf. Die äußeren Bedingungen sind zwar objektiv gegeben, aber sie entfalten ihre Wirkung erst durch subjektive Deutungen und Interpretationen.
Für die „Definition der Situation“ sind alle genannten Faktoren in unterschiedlichem Ausmaß bedeutend. Obgleich die äußerliche Situation für viele Akteure gleichartig erscheinen mag, denn die objektiven Bedingungen einschließlich der verbindlichen Regeln sind auch den anderen Akteuren bekannt, wird die Situation aufgrund der subjektiven Einstellungen und Bewertungen von jedem Akteur anders gedeutet. Entscheidend ist am Ende nicht die „objektive“ Situation, sondern die subjektive Deutung der Situation, weil sich der Akteur durch die Deutung psychologisch bindet. Er richtet sich jetzt nach für ihn sinnvollen Orientierungspunkten und grenzt somit seine Handlungsmöglichkeiten auf für ihn verträgliche, sinnhafte und geeignete Alternativen ein. Für andere Akteure könnten die gewählten Einschränkungen dagegen inakzeptabel sein, weil sie die Situation anders interpretieren.
Die Beziehung zwischen Situation und Akteur konstituiert sich nach Esser in drei konsekutiven Schritten (Esser 2001a, S. 161ff.). Zunächst wird die Entstehung sozialer Strukturen und die Entwicklung der individuellen Identität (Biographie, Internalisierung) betrachtet und damit deren Einfluss auf die konkrete objektive Situation. Dann werden das Erleben der aktuellen Situation sowie der Prozess der inneren Konstruktion als Kognition des Akteurs berücksichtigt. Daraufhin setzt eine „gedankliche und emotionale Aktivität“ (Esser 2001a, S. 164) ein, die Symbole entziffert und die gesamten Umstände derartig deutet, dass beim Akteur ein ausgewähltes und verfügbares mentales Modell aktiviert wird. „Sie vollzieht sich als eine, nicht bewußte oder irgendwie „abwägende“, innere „Entscheidung“, bei der wiederum Erwartungen und Bewertungen eine Rolle spielen.“ (Esser 2001a, S. 164f.). Das ausgewählte Modell vermittelt dem Akteur dann die erforderliche Orientierung und gilt für ihn ab sofort als geeigneter Bezugsrahmen zur Wahl weiterer Handlungen („Framing“).7
3.2 Logik der Selektion
Der zweite Schritt im Makro-Mikro-Makro-Modell enthält eine Handlungstheorie, die als „Logik der Selektion“ bezeichnet wird und beschreibt, welche Handlung aus welchem Grund gewählt wird. Handeln wird von Esser als ein mit Intentionen und Plänen versehenes Verhalten definiert, das auf Reflexion und Antizipation zukünftiger Situationen beruht (Esser 2001a, S. 181) und der Regel folgt, dass die zu erwarteten Erträge zu maximieren sind (Esser 2001a, S. 182), wobei Esser auf die SEU-Theorie zurückgreift (Esser 2001a, S. 340).
„Von einer rationalen Logik der Selektion sei immer dann die Rede, wenn der Akteur bei seinen Selektionen für die Gewichtung der möglichen Alternativen nach seinen Zielen und Erwartungen eine bestimmte Regel anwendet: die Maximierung der Nutzenerwartung.“ (Esser 2001a, S. 216) Esser weist allerdings selber daraufhin, dass auch andere Handlungstheorien als die SEU-Theorie verwendet werden könnten. Allerdings sind die Definition der Situation und die aus ihr aufgestellten Brückenhypothesen so eng mit der SEU-Theorie verknüpft, dass eine andere Handlungstheorie auch andere Situationsbeschreibungen erforderlich machen würde (Esser 2001a, S. 404).
3.3 Logik der Aggregation
Der dritte Schritt im Makro-Mikro-Makro-Modell erfasst die sogenannte „Logik der Aggregation“, die beschreibt, wie die Folgen der Handlungen zu sozialen Zusammenhängen transformiert werden. Dabei legen definierte Transformationsregeln fest, wie die einzelnen Effekte einen kollektiven Zusammenhang bedingen können.
3.4 Hempel-Oppenheim-Schema
Esser erhebt die Forderung, dass soziologische Erklärungen dem Hempel-Oppenheim-Schema genügen sollten und konzipiert sein Grundmodell der Handlungslogik nach diesem Schema (Esser 2001a, S. 204f.). In diesem Schema wird eine Erklärung in zwei Teile eingeteilt (Hempel, Oppenheim 1948, S. 136 ff.). Das Explanandum ist ein Satz, in dem das Phänomen beschrieben wird, das erklärt werden soll. Das Explanans besteht dagegen aus einer Menge von Sätzen, die angeführt werden, um das Explanandum zu erklären. Das Explanans besteht aus zwei Untermengen: der Menge der Sätze über Antezedensbedingungen {A1, …, An} und der Menge der Sätze über Gesetzmäßigkeiten {G1, …, Gn}. Wenn das Explanandum aus dem Explanans logisch folgt (deduktiv), dann wird es durch das Explanans erklärt.
Hempel und Oppenheim formulierten auch logische und empirische Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit von einer adäquaten Erklärung gesprochen werden kann: die logische Folgerung muss gelten, Gesetzmäßigkeiten müssen vorliegen, das Explanans muss einen empirischen Gehalt aufweisen und die Sätze des Explanans müssen wahr sein (Hempel, Oppenheim 1948, S. 137). Die verwendeten Gesetzeshypothesen müssen deterministische (nomologische) Gesetze sein, damit die logische Folgerung gilt. Probabilistische Gesetzesannahmen, wie sie heute üblich sind, wären dafür nicht ausreichend (Stegmüller 1969, S. 83).
Trotz der vordergründigen Plausibilität des Schemas wurden in der Folge so viele Probleme des Schemas erkennbar (Kim 1999), dass es aus wissenschaftstheoretischer Sicht als eher ungeeignet für kausale Erklärungen angesehen wird. Selbst wenn deutlich höhere Anforderungen an das Schema akzeptiert werden würden, wie es von Küttner vorgeschlagen wurde (Küttner 1976), bliebe das Problem, dass es bis heute nicht gelungen ist, ein Kriterium für die Gesetzesartigkeit von Sätzen zu finden, so dass damit eine der Grundannahmen für eine korrekte Erklärung nicht erfüllt ist (Stegmüller 1969, S. 87).
Damit sich das Makro-Mikro-Makro-Modell tatsächlich zur Erklärung von kollektiven Zusammenhängen eignet, müsste die verwendete Handlungstheorie einen nomologischen Gehalt, ein Gesetz beinhalten (Kroneberg 2011, S. 24). Wenn die Handlungstheorie kein kausales Gesetz mit allgemeiner Geltung enthielte (Esser 2010b, S. 317), dann wären Erklärungen gemäß dem Hempel-Oppenheim-Schema nicht möglich, weil kein logischer Zusammenhang (Deduktion) bestehen würde (Esser 2001a, S. 16).
Esser wählt eine Darstellung des Schemas, die sehr ungewöhnlich ist (Esser 2001a, S. 204f.). Er versucht einen Satz über eine Handlung H1 als Explanandum zu erklären und wählt als Antecedensbedingungen (Rahmenbedingungen) die Sätze „Zi“ und „(Z? H)i“ und als gesetzesartige Aussage „(Z ? (Z ? H)) ? H“.
Zi ist ein vom Akteur angestrebtes Ziel und (Z ? H)i ist eine vom Akteur vermutete Arbeitshypothese über den konkreten Zusammenhang zwischen Ziel Z und Handlung H. Wenn Esser Zi als Randbedingung und (Z ? H) als gültiges Gesetz formuliert hätte, dann wäre dadurch Hi gemäß dem Schema erklärt. Esser bevorzugt aber eine andere Vorgehensweise, denn (Z ? H)i ist bei ihm lediglich als subjektive Annahme konzipiert und nicht als Gesetz. Esser führt eine besondere gesetzesartige Aussage ein, von der er sich eine Art Verbindung als Kern jedes Gesetzes und jeder Erklärung verspricht und er versucht später die SEU-Theorie als diesen nomologischen Kern seines Modells der Frame-Selektion zu konstituieren (Esser 2001a, S. 403).
Esser glaubt, ein allgemeines Gesetz gefunden zu haben, dass „die psychische Verursachung des Handelns“ formuliert (Esser 2001a, S. 205).
Das Prinzip der Handlungswahl nach den Regeln der Zweckrationalität ist das allgemeine Gesetz, das, zusammen mit den subjektiven Erwartungen und Bewertungen über Ziele und Mittel, das Handeln erklärt – und es dadurch gleichzeitig mit einer hohen „Evidenz“ verständlich macht.“ (Esser 2001a, S. 199) „Formal lautet das Gesetz in der Sprache der Logik dann so: (Z ? (Z ? H)) ? H.“ (Esser 2001a, S. 205)
Indem die SEU-Theorie zum nomologischen Kern erhoben wird, die als conditio sine qua non jeder Erklärung zu gelten hat, erklärt den intellektuellen Widerstand, die SEU-Theorie als Grundelement der Handlungstheorie preiszugeben. Für Esser scheint es evident und Ausdruck eines „übergeordneten Gesetzes“ zu sein, dass ein Akteur mit dem Ziel Z und dem Wissen über den Zusammenhang zwischen dem Ziel Z und der Handlung H (Z ? H) zwangsläufig zur Handlung H überzugehen hat. Es wäre irrational, wenn der Akteur nicht diese praktische Konsequenz ziehen würde.
Selbst wenn das Gesetz tatsächlich allgemeingültig wäre, dann würde es nicht bedeuten, dass damit auch die SEU-Theorie gilt. Es wäre lediglich ein konsistentes Handeln nach einer Selektionsregel gemäß des Rationalitätsprinzips RP gefordert. Aus dem angeführten Gesetz lassen sich nicht die zusätzlichen und erforderlichen Annahmen an eine geordnete Präferenzordnung ableiten, die für die SEU-Theorie in RO und RB erforderlich wären. Es bestehen deshalb keine Bedenken, auf die SEU-Theorie im Modell der Frame-Selektion zu verzichten, solange RH oder RP gelten.
4. Modell der Frame-Selektion
Der Ausgangspunkt des Modells der Frame-Selektion ist ebenfalls das Menschenbild des RREEMM. Nach Esser besteht der Grund zu Handeln darin, ein Problem lösen zu müssen (Esser 2001a, S. 37) bzw. einen Nutzen zu produzieren, wobei Esser unter Nutzen jede „Zuträglichkeit der Reproduktion des Organismus“ versteht (Esser 2001a, S. 86). Esser übernimmt von Lindenberg (Lindenberg 1989, S. 53) das Konzept der sozialen Produktionsfunktion, die aus einer Kette von drei Produktionsfunktionen (f, g, h) besteht.8 Mit der ersten Produktionsfunktion f wird als conditio humana unterstellt, dass alle Akteure ununterbrochen und fortwährend danach streben, soziale Wertschätzung (SW) zu gewinnen und ihr physisches Wohlergehen (PW) zu sichern. Der substantiell definierte Nutzen U wird als Funktion f der Befriedigung beider Bedürfnisse modelliert werden: U = f(SW, PW).
Ein ähnliches Konzept findet sich bereits bei Becker, bei dem sich Personen auf „Letzt-Güter“ ausrichten, „such as health, social standing and reputation, and pleasures of the senses“ (Becker, 1996, S. 5). Dieses Menschenbild, in dem nicht zwischen einer instrumentellen Orientierung an Grundbedürfnissen und einer intrinsischen Motivation durch Normen und Werte unterschieden werden kann, wird von Rössel zu Recht kritisiert (Rössel 2008, S. 164f.).
Bei der zweiten Produktionsfunktion g werden Zwischengüter betrachtet, die zwischen den Bedingungen der Situation und dem Nutzen vermitteln. Esser unterstellt, dass eine Person über sehr viele mentale Modelle bzw. gedankliche „Prototypen“ verfügt, die mit anderen Personen geteilt werden, die kollektiv als verbindlich akzeptiert werden, die einen institutionellen und kulturellen Rahmen beinhalten und die festlegen, wie Zwischengüter einzusetzen sind oder wann welche Handlung in einer Situation richtig ist. Diese mentalen Modelle fungieren quasi als erworbene „soziale Drehbücher“, die einerseits den Bezugsrahmen festlegen, in dem sich der Akteur befindet, und anderseits das Handeln durch Programme determinieren (Esser 2001a, S. 103).
Mit der dritten Produktionsfunktion h wird festgelegt, wie primäre Zwischengüter Z erzeugt werden. Als Mittel zur Erzeugung von Z werden die erforderlichen Vorprodukte X (Ressourcen und Leistungen als indirekte Zwischengüter) und die besonders knappe Zeit erfasst. Die Produktionsfunktion lautet: Z = h(X, t). Besonders die dritte Produktionsfunktion weist auf die äußerlichen Restriktionen hin, die vom Akteur meistens nicht veränderbar sind. Sie beschränken somit objektiv seine Handlungsmöglichkeiten und beeinflussen damit indirekt die Interessen und Präferenzen des Akteurs.
4.1 Allgemeine Handlungstheorie
Das gegenwärtig vorliegende Modell der Frame-Selektion ist eine komplexe integrative und erklärende Handlungstheorie, die für sich beansprucht, für alles Handeln soziologisch anschlussfähig zu sein. Von Esser konzipiert, wurde sie von Kroneberg 2005 verbessert (Kroneberg 2005), 2007 modifiziert (Kroneberg 2007) und 2011 finalisiert (Kroneberg 2011).9
Im Modell der Frame-Selektion wurde die Logik der Situation in den Vordergrund der Handlungstheorie gerückt. Es ist jetzt bedeutsam, dass sich Akteure in den flüchtigen, wechselnden Situationen des Alltags einen verlässlichen Bezugsrahmen (framing) setzen, indem Akteure die Situation deuten und definieren. Außerdem wurde im Vergleich zur SEU-Theorie berücksichtigt, dass sich Akteure unterschiedlich fokussiert und reflektiert verhalten, denn in Routinesituationen wird das Handeln meistens automatisch abgerufen und nur in wenigen Fällen überlegt der Akteur sehr intensiv nach, bevor er handelt. Kroneberg spricht hier von einer „variablen Rationalität“ der Akteure (Kroneberg 2011, S. 57f.), denn Personen scheinen nur dann über die Lösung von Problemen nachzudenken, wenn sie dazu motiviert sind und ausreichende Gelegenheiten haben.
Die Definition der Situation10 ist ein komplexer Prozess auf der individuellen und sozialen Ebene. Die Wahl oder Selektion eines geeigneten Bezugsrahmens wird einerseits durch die Deutung und Interpretation des Akteurs geleistet und damit von seiner Identität und seinem Hintergrundwissen beeinflusst und andererseits durch sozial geteilte signifikante Symbole und Normen geprägt (Kroneberg 2011, S. 66ff.).
Im Modell der Frame-Selektion wird unterschieden, welches Modell (Frame, Skript oder Handlung) gewählt wird und in welchem Modus (automatisch-spontan oder reflexiv-kalkulierend) es gewählt wird.
4.2. Selektion des Modells
Die Wahl eines Bezugsrahmens (Frame) stiftet in einer Situation den Sinn für das Handeln, weil es den Akteur in seinem Denken und Fühlen orientiert und damit die erforderliche, unbedingte und vertraute Plausibilität verleiht. Der Rahmen ist das Produkt der individuellen Einstellungen zur Situation, wobei die Einstellung als innere Disposition zwischen der objektiven Situation und dem Verhalten vermittelt.
Das Modell der Frame-Selektion betrachtet Frames und Skripte nicht als ontologisch unterschiedliche Entitäten, sondern sie werden als real ununterscheidbar, aber analytisch differenziert angesehen (Kroneberg 2011, S. 129). Insgesamt werden drei Selektionen unterschieden: die des Frames, des Skriptes und der Handlung.
Da jede Interpretation einer Situation zunächst einen grundsätzlichen Bezugsrahmen benötigt, der der allgemeinen Orientierung dient, wird mit der ersten Selektion ein Frame aus einer potentiellen Menge von Frames gewählt. Frames sind mentale Modelle, von denen diejenige ausgewählt wird, die in der Situation mental am stärksten aktiviert wird, weil sie zur Situation am besten passt.
Innerhalb eines Frames wählt der Akteur ein Skript, das Handlungsdispositionen und –programme umfasst. Dieses mentale Modell legt dem Akteur nahe, in Abhängigkeit von Normen, kulturellen Werten und Emotionen zu handeln. Skriptgemäßes Handeln ist häufig auf Ziele bezogen und nicht selten mit einer inneren Verpflichtung verbunden. Zusammen mit den Frames bilden Skripte den „lebensweltlichen Wissensvorrat“ (Kroneberg 2011, S. 122).
Da ein Skript die Handlung nicht immer im Detail festlegt, können Skripte Leerstellen enthalten, die der Akteur durch eine weitere Selektion ausfüllen muss. Nur in diesen Situationen wird gesondert eine Handlung gewählt.
4.3. Selektion des Modus
Wie ein Akteur zu einer konkreten Situation eingestellt sein kann bzw. wie er die verfügbaren Informationen verarbeitet, wird unter anderem im Konsistenzmodell, in der Theorie des überlegten Handelns und des MODE-Modells von Fazio analysiert (Esser 2001c, S. 239ff.). Aus den „dual-process“ Modellen der Einstellung schälte sich heraus, dass es zwei grundsätzliche Arten zu geben scheint, wie die individuelle Einstellung ein bestimmtes Handeln auslöst: in einem automatisch-spontanen (as) Modus oder in einem reflexiv-kalkulierenden (rc) Modus. Im rc-Modus denkt der Akteur gezielt nach und wägte alle Vor- und Nachteile bewusst ab, während er sein Verhalten im as-Modus nicht hinterfragt.11
Der kognitive Prozess beginnt in der konkreten Situation mit der Beobachtung von Objekten, die aufgrund einer besonderen individuellen Zugänglichkeit eine bestimmte Bedeutung für den Akteur haben und als besondere Hinweise gelten. Liegen diese Hinweise eindeutig vor und erkennt das kognitive System des Akteurs eine tadellose Übereinstimmung bzw. Match, dann wird unmittelbar dasjenige Verhalten (Handeln) ausgelöst, das als mentales Modell abgespeichert wurde. Der Match löst somit ohne weiteres Nachdenken, ohne Bewusstsein, ohne Aufmerksamkeit das Verhalten als automatisch-spontane kognitive, affektive und konative Reaktion aus (Esser 2001c, S. 252f.).
Ist der Match dagegen nicht tadellos oder nicht perfekt, dann wird die Situation gedeutet. Manchmal reicht schon eine kurze „oberflächliche“ Deutung, die zu einer raschen Interpretation führt, und manchmal muss ein Akteur intensiv über die Situation nachdenken. In dieser Phase ist die Informationsverarbeitung entscheidend. Reichen die verfügbaren Informationen oder müssen weitere beschafft werden, was Zeit und Kosten (Aufwand) verursachen würde? Häufig greift das Individuum in diesen Situationen auf frühere Erfahrungen oder die verfügbaren Informationen zurück, um eine effiziente Entscheidung treffen zu können.
Fraglich ist, von welchen Faktoren es abhängt, ob der bewusste Modus gewählt wird oder der reflexive? Nach dem MODE-Modell sind die Motivation, der Aufwand und die Opportunitäten entscheidend. Die Motivation entspricht der Furcht, eine Fehlentscheidung zu treffen, die dann im Nachhinein zu deutlich mehr Kosten führen würde als eine korrekte Entscheidung.12 Unter Aufwand werden alle Kosten verstanden und unter Opportunitäten die Möglichkeit zum reflexiven Nachdenken. Nach dem „dual-process“ Modell wird nur dann über die Situation bewusst nachgedacht, wenn alle drei Bedingungen erfüllt sind. Der Akteur müsste demnach motiviert sein, Fehlentscheidungen zu vermeiden, er müsste die Möglichkeit zum Nachdenken haben und der Aufwand müsste gering sein (Esser 2001c, S. 256; Kroneberg 2011, S. 127).
Da die Selektion des Modus ein vorbewusster Vorgang ist, können für diesen Vorgang nicht dieselben Regeln gelten wie für einen bewussten Vorgang. Die Zuweisung von Aufmerksamkeit wird demnach nur analog einer bewussten Entscheidung thematisiert (Kroneberg 2005, S. 347). Esser unterstellt dagegen: „Es gibt die Bewertungen der Alternativen latent „immer schon“, und seien das noch so grobe Assoziationen, aber sie sind nicht immer aktiviert.“ (Esser 2003, S. 363). Wie aus dieser nicht weiter begründeten Feststellung die berechtigte Verwendung der SEU-Theorie hergeleitet werden kann, ist unklar.
Nach Mayerl ergibt sich der Modus, wenn die beiden Faktoren Motivation und Möglichkeit berücksichtigt werden und er wählt eine einfache Transformation, um dabei die SEU-Sprache verwenden zu können: „die Motivation wird als Nutzen (bzw. Bewertung) und die Möglichkeit als Wahrscheinlichkeit“ modelliert (Mayerl 2009, S. 232). Eine Begründung für die Transformation fehlt allerdings.13
5. Selektionen und Ansätze instrumenteller Rationalität
5.1. Selektion im as-Modus
5.1.1. Selektion des Frames
Der Aktivierungsgrad oder das Aktivierungsgewicht des Frames (AW(Fi)) oder sein Match (mi) richtet sich nach drei Faktoren im as-Modus: nach dem Grad der Verfügbarkeit des Frames ai, dem Grad des Vorliegens signifikanter Objekte oi und der Stärke der mentalen Verknüpfung zwischen dem Frame und den Objekten li, die multiplikativ verknüpft sind gemäß: AW(Fi)=mi=ai*oi*li für das Frame Fi.
Es wird demnach in einer Situation derjenige Frame ausgewählt, der einen maximalen Match mi aufweist (Kroneberg 2011, S. 130f.), so dass die Selektion des Frames ausschließlich ein Assoziationsproblem ist, nicht mehr vom Nutzen abhängt (Etzrodt 2007, S. 374) und deshalb auch nicht in SEU-Werten, sondern in Aktivierungsgewichten gemessen wird (Rademacher 2013, S. 131 Fn. 84).
Die finalisierte Fassung unterscheidet sich von einer früheren Auffassung von Esser, der das EU-Gewicht des Frames noch mit „EU(i)=mi*Ui“ darstellte (Esser 2001c, S. 271). Zu den Bewertungen (Ui) der Konsequenzen „gehören alle Aspekte an „Nutzen“ und „Kosten“, die der Akteur mit der Aktivierung eines gedanklichen Modells assoziativ erlebt, …“ (Esser 2001c, S. 270f.). Dieser Nutzenterm Ui wurde später von Kroneberg aufgegeben, weil er zu inakzeptablen Ergebnissen führt. Wenn zum Beispiel ein Akteur aufgrund von Wunschdenken einem Frame k einen sehr hohen Nutzen Uk zuspricht, obgleich er nur wenig passt (pk), dann könnte der Gesamtnutzen pk*Uk dennoch höher sein als ein besser passender pl mit geringerem Nutzen Ul – vorausgesetzt pl*Ul < pk*Uk.14
Da im as-Modus der Bezugsrahmen mit dem höchsten Match mi automatisch gewählt wird und die Wahl nicht mehr vom Nutzen abhängt, sind keine Ansätze der instrumentellen Rationalität anwendbar.
5.1.2. Selektion des Skriptes
Da jedes Skript nur innerhalb eines Frames aktiviert werden kann, ist immer die Bedingung des Frames hinzuzufügen. Das Aktivierungsgewicht eines Skriptes (AW(Sj|Fi)) besteht aus drei Faktoren: der Verfügbarkeit aj, die vom Grad der Internalisierung, Habitualisierung und emotionalen Verankerung abhängt, der Zugänglichkeit aj|i, die von seiner Assoziation mit dem Frame und den Situationsobjekten abhängt, und dem Match des aktivierten Frames (mi) als allgemeine Verankerung des Skriptes in der Situation. „Ein Skript kann bei konstanter Zugänglichkeit unterschiedlich stark aktiviert sein, je nachdem wie stark es verfügbar/verankert ist. Gerade auch wenn Unterschiede zwischen sozialen Milieus, Kulturen etc. betrachtet werden, stellen Verfügbarkeit und Zugänglichkeit zwei deutlich unterscheidbar Variationsquellen dar (Kroneberg 2011, S. 132 Fn. 59).
Das Selektionsgewicht eines Skriptes Sj im as-Modus beträgt demnach: AW(Sj|Fi)=mi*aj*aj|i. Damit zeigt auch die Aktivierung eines Skriptes innerhalb eines Frames keinen Bezug zu Ansätzen der instrumentellen Rationalität.
5.1.3 Selektion der Handlung
Im as-Modus legt das Skript häufig bereits die Handlung fest. Nur wenn das Skript nicht eindeutig genug ist und weitere Wahlmöglichkeiten bestehen, müsste zusätzlich eine gesonderte Handlung gewählt werden (Kroneberg 2011, S 133f.). Das Selektionsgewicht einer Handlungsalternativ Hk hängt somit vom Gewicht des Skriptes als auch vom Regelungsgrad einer Handlungswahl (ak|j) ab: AW(Hk|Fi,Sj)= AW(Sj|Fi)* ak|j.
Auch für die Handlungswahl im as-Modus ist ein Ansatz der instrumentellen Rationalität nicht anwendbar, denn der as-Modus ist im Grund nichts anderes als eine unbewusste automatisierte Schemaaktivierung.
Zusammenfassen lässt sich für den gesamten as-Modus sagen, dass eine rationale Bewertung und Erwartung zukünftiger Folgen nicht kalkuliert wird (Esser 2000, S. 788). Ein bewusstes Nachdenken über Restriktionen, Opportunitäten und die Maximierung von Nutzen ist nicht vorgesehen, sondern lediglich eine spontane und automatisierte Aktivierung von in der Vergangenheit nützlichen Modellen, die beim Individuum stark verankert sind. Die SEU-Theorie ist somit nicht anwendbar.
5.2. Selektion im rc-Modus
Anders verhält es sich im rc-Modus, denn jetzt ist der Akteur aufgerufen, Alternativen bewusst zu vergleichen und zu bewerten. Die überlegte Entscheidung zwischen Alternativen ist schließlich der entscheidende Unterschied zum as-Modus (Kroneberg 2011, S. 144).
Obwohl sich Kroneberg der Heterogenität der reflexiven Abwägungen bewusst ist, die bei den drei rc-Selektionen der Modelle für den Akteur bedeutend sind, glaubt er, sie in der SEU-Sprache interpretieren zu können (Kroneberg 2011, S. 135) und stellt folglich immer SEU-Gewichte (?pmUm) auf. Es bleibt aber fraglich, ob es sich dabei inhaltlich um die SEU-Theorie handelt oder nur um eine Verwendung der SEU-Sprache. Rademacher weist zumindest daraufhin, dass das Modell der Frame-Selektion die SEU-Theorie „ausschließlich zur formalen Modellierung(!)“ verwendet (Rademacher 2013, S. 127). Er meidet deshalb explizit den Begriff „Entscheidungsmatrix“ und ersetzt ihn durch „Auszahlungsmatrix“, um die Unabhängigkeit der Auszahlung (Nutzen) von der Reflexion zu betonen (Rademacher 2013, S. 127 Fn. 71).
5.2.1. Selektion des Frames
Bei der Auswahl eines Frames im rc-Modus denkt der Akteur bewusst darüber nach, in welcher Situation er sich befindet. Der Akteur versucht, sich über die Situation klar zu werden, und er will wissen, welcher Bezugsrahmen passt, damit er angemessen handeln kann. Er kann nicht primär an Nutzen, Restriktionen oder Opportunitäten interessiert sein, weil er sich erst noch orientieren und seine Präferenzen ordnen muss.
Die Passung des Frames wird von Kroneberg als Erwartung (pi) modelliert, die sich aus dem Glauben über die Angemessenheit speist, nachdem der Akteur die Situation gedeutet hat. Diese Erwartung basiert auf dem Glauben über das Vorliegen der Situationsobjekte (oi), der Signifikanz dieser Objekte (vi) und die Sinnhaftigkeit des Frames (ai), so dass sich der Angemessenheitsglauben pi ergibt gemäß: pi=oi*vi*ai. Damit wäre der Angemessenheitsglaube im rc-Modus analog zum Match im as-Modus zu bilden.
Es besteht bei der Wahl des angemessenen Frames aber stets die Gefahr, dass der Akteur wider besserer Intention ein Frame wählt, das eher seinem Wunschdenken oder emotionalem Gefühl entspricht. Um solche unerwünschten Abweichungen auszugleichen, besteht theoretisch die Möglichkeit zusätzliche Nutzen- oder Kostenterme ad hoc zu integrieren.
In der ursprünglichen Konzeption wurde die Wahl des Frames im rc-Modus noch durch die Maximierung des subjektiven Erwartungsnutzen gemäß SEU(Fi) modelliert (Kroneberg 2005, S. 350). Da das Modell der Frame-Selektion aber für alle Handlungsarten gelten sollte, wurde eine Modifikation notwendig, nachdem Stachura für wertrationale Entscheidungen überzeugend nachweisen konnte, dass nicht das Prinzip der Nutzenmaximierung, sondern das Prinzip der Wertbegründung entscheidend ist. „Der rationale Akteur sucht auf der Ebene der Definition nicht nach dem Nutzen, sondern nach dem richtigen Wertmaßstab oder der richtigen Perspektive, aus der die situativen Wertbeziehungen sichtbar werden.“ (Stachura 2006, S. 434) Damit wird die Unterscheidung zwischen dem Grad der Geltung und dem der Passung erforderlich. Das Frame passt, wenn es beim Akteur gut verankert ist. Damit ist aber noch nichts über die Geltung gesagt, die von akzeptierten relevanten Werte abhängt. Es scheint, als ob in diesen Situationen die Wahl des Frames einen besonderen Akt der Anerkennung enthält, der nicht allein von den Präferenzen, Zielvorstellungen oder Interessen des Akteurs abhängt (Stachura 2006, S. 447).
Kroneberg führte aufgrund der berechtigten Kritik den Begriff „Angemessenheitsglauben“ (pi) ein, den er als Erwartung definiert, „die ein Akteur für jeden in Betracht gezogenen Frame bewusst bildet“ (Kroneberg 2007, S. 225) und bei der bewusst kein Nutzen und keine Kosten abgewogen werden. Allerdings konnte es Kroneberg nicht dabei bewenden lassen, wenn er weiterhin die Erwartungsnutzentheorie [SEU(Fi)=pi*Ui] verwenden wollte. Er benötigte dafür zwingend einen Nutzen Ui. Diesen Nutzen glaubt er darin zu entdecken, dass der Akteur ein generelles Interesse verfolgt, nämlich „das generalisierte und gewöhnlich implizit bleibende Interesse an einer zutreffenden und auch sozial angemessenen Sicht der Situation“ (Kroneberg 2011, S. 137). Er formalisiert dieses Konstrukt als einen nicht relevanten konstanten Nutzenterm USinn, so dass formal zwar SEU(Fi)=pi*USinn gilt, aber nur der Angemessenheitsglaube pi relevant ist.
Etzrodt wies folgerichtig daraufhin, dass der Verzicht auf den äußerst fragwürdigen Nutzenterm USinn dazu führt, dass der as-Modus und rc-Modus für Frames formal identisch sind (Kroneberg 2007, S. 225). „Der inhaltliche Unterschied ist, dass im as-Modus die Selektion des angemessensten Frames unbewusst erfolgt, während sich der Akteur im rc-Modus bewusst für den angemessensten Frame entscheidet.“ (Etzrodt 2008, S. 273) Das hätte wiederum die Konsequenz, dass mi und pi direkt vom Frame i abhängen und somit keine vom Frame unabhängige Eintrittswahrscheinlichkeit sein können, so dass dann keine Möglichkeit mehr besteht, die SEU-Theorie tatsächlich anzuwenden (Etzrodt 2008, S. 274).
Da bei der Wahl des Frames nur die Angemessenheit pi entscheidend ist, sind die Ansätze der instrumentellen Rationalität gemäß RO, RB und RH nicht begründet anwendbar, denn der (nicht relevante, konstante) Nutzenterm USinn wird letztlich nur eingeführt, um zu suggerieren, dass die SEU-Theorie dennoch sinnvoll eingesetzt werden kann. Aber eigentlich spielt der Nutzenterm keine Rolle, denn die „Akteure sind nur damit beschäftigt, gute Gründe zu entwickeln, um letztlich den tatsächlich angemessenen Frame zu erkennen.“ (Kroneberg 2011, S. 137).
Es scheint, als ob das Modell der Frame-Selektion tatsächlich nur RP verlangt, denn selbst Kroneberg weist daraufhin, dass die SEU-Theorie hier nur verwendet wird, um anzuzeigen, dass der Akteur die verfügbaren Alternativen systematisch miteinander vergleicht und dann zu einer fundierten Entscheidung gelangt (Kroneberg 2007, S. 225 Fn. 8).
5.2.2. Selektion des Skriptes
Bei der Wahl des Skriptes ist wiederum die Beschränkung durch den Frame zu berücksichtigen. Typischerweise werden im Skript Konflikte mit Normen und Regeln reflektiert, was besonders häufig bei Handeln in Organisationen auftritt. Ansonsten wird das Skript sehr wahrscheinlich direkt in eine Handlungsempfehlung münden. „Wenn eine befriedigende Handlungswahl in der Situation möglich erscheint, ohne zunächst über die Geltung verschiedener Skripte zu reflektieren, wird er sich nach erfolgter Situationsdefinition sofort der reflektierten Handlungsselektion widmen.“ (Kroneberg 2011, S. 139). Diese Beschreibung ist realistisch, aber kaum mit einem Ansatz der Rational-Choice-Theorie RO oder RB vereinbar, die eine Maximierung des Nutzens anstrebt.
Die Formalisierung des Skriptes (Si) ist analog wie die bei der Selektion des Frames (Kroneberg 2011, S. 140): SEU(Si)=pi*USinn. Damit gilt bezüglich der Ansätze der instrumentellen Rationalität dasselbe wie für die Frames. Sie sind bis auf das Rationalitätsprinzip RP nicht sinnvoll anwendbar.
5.2.3 Selektion der Handlung
Die Selektion einer Handlung im rc-Modus dürfte am ehesten einem Ansatz der instrumentellen Rationalität entsprechen, denn jetzt reflektiert der Akteur über unterschiedliche Konsequenzen verschiedener Alternativen. Er bewertet die Alternativen und wendet eine Selektionsregel an, indem er sich bewusst für eine der Alternativen entscheidet. Dabei könnte der Akteur die subjektiven Eintrittswahrscheinlichkeiten und den Nutzen der Konsequenzen verwenden und diejenige Alternative wählen, die seinen Nutzen maximiert gemäß RO oder RB. Aber er könnte auch andere Selektionsregeln wählen, so dass auch RH oder RP zutreffen würden.
Kroneberg modelliert den Erwartungsnutzen einer Handlungsalternative Hk als: SEU(Ak|Fi,Si)=?pm(.,Fi,Si)*Um(.,Fi,Si).
„Generell nimmt das Modell der Frame-Selektion an, dass auch Handlungsselektionen im rc-Modus durch die Definition der Situation vorstrukturiert und beeinflusst werden. Frames und Skripte aktivieren spezifische Wissensbestände, Ziele, Wertorientierungen und Emotionen, die sich sowohl auf die Erwartungen als auch auf die betrachteten Konsequenzen und Bewertungen auswirken können.“ (Kroneberg 2011, S. 140)
Auch wenn sich die Frames auf die Präferenzen und Erwartungen auswirken, ist damit nicht gesichert, dass die Handlung gemäß der SEU-Theorie gewählt werden muss. Ohne erneut darauf einzugehen, dass unklar bleibt, wie der Nutzen aus der Angemessenheit des Frames und des Skriptes zu berechnen wäre, müssten für eine Erklärung gemäß RO oder RB die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten (als subjektive Erwartungen) und der Nutzen einer Handlung explizit angeführt werden.
Kroneberg ist bei der Erklärung von Handlungsselektionen aber flexibel und auch bereit, diejenige Theorie zu wählen, die am erklärungskräftigsten ist. Zum Beispiel könnte die Prospect Theory von Kahnemann und Tversky (Kahnemann, Tversky 1979) zur Erklärung einer Handlungsselektion verwendet werden, „sofern Unterschiede im Handeln erklärt werden sollen, die durch die Selektion eines Gewinn- oder Verlust-Frames zustande kommen“ (Kroneberg 2011, S. 141). Letztlich richtet sich die Erklärung der Handlungsselektion nicht unbedingt nach RO oder RB, sondern nach den bestimmten Situationen, so dass RH oder RP möglicherweise ausreichend oder sogar besser geeignet wären.
Es ist nicht eindeutig zu klären, ob für die Handlungsselektion im rc-Modus die SEU-Theorie tatsächlich erforderlich ist oder ob nicht auch weniger anspruchsvollere Ansätze wie RH der RP ausreichen.
Aber selbst wenn zu Gunsten der SEU-Theorie angenommen werden würde, dass sie gälte, hätte sich das Modell der Frame-Selektion doch sehr weit von Essers ursprünglichem Ansatz der Rational-Choice-Theorie und seinem substantiellen Nutzenbegriff entfernt, denn bei der gegenwärtig präferierten instrumentellen Interpretation der SEU-Theorie wird als Selektionsregel nur noch auf relative Präferenzen abgestellt (s. Kap. 2.3), so dass die Theorie inhaltlich leerer ist und dadurch akzeptabler sein sollte.
5.3 Selektion des Modus
Unbeantwortet geblieben ist bisher die Frage, in welcher Situation ein Akteur den Modus wechselt oder überhaupt den as-Modus oder den rc-Modus wählt. Die vorhergehenden Ausführungen haben deutlich gemacht haben, dass ein Nutzen Ui bei einem geltenden Frame i unterstellt wird. Wird im rc-Modus noch zusätzlich über ihn nachgedacht, entstehen durch den Aufwand Reflexionskosten C. Im rc-Modus wird der Nutzen Ui somit durch diese Kosten reduziert.
Gilt der Frame i dagegen nicht als optimal und wird er dennoch gewählt, dann entstehen für den „unangemessenen“ Frame i Kosten Cf im as-Modus, denn der Nutzen Ui ist dann geringer als bei einem alternativen Frame j. Im rc-Modus treten als Aufwand immer Reflexionskosten C auf, die sich nur in dem Fall rentieren, wenn der Akteur aufgrund seiner Reflexionsmöglichkeiten statt des ungeeigneten Frames i einen besseren Frame j auswählt und dadurch trotz des Aufwandes einen höheren Nutzen (URC) generiert (Esser 2010a, S. 56f.).
Im Modell der Frame-Selektion lohnt sich der Übergang vom as-Modus in den rc-Modus demnach nur dann, wenn der Nutzen im rc-Modus größer wäre als im as-Modus. Dieser potentielle Vorteil lässt sich durch folgende Ungleichheit ausdrücken: p(1-mi)(URC+Cf) > C (Kroneberg 2011, S. 147).
Diese Formel ist leicht verständlich, denn der Gesamtnutzen auf der linken Seite der Ungleichung sollte größer sein als der Aufwand, die Reflexionskosten C. Diese Situation tritt dann ein, wenn eine ausreichend hohe Möglichkeit zur Reflexion (p) und ein alternativer Frame j (1-mi) vorliegen, denn dann kann der Akteur den zusätzlichen Nutzen (URC) generieren und die Kosten einer unangemessenen Framewahl (Cf) vermeiden (Kroneberg 2011, S. 147f.). „Die Summe (URC+Cf) entspricht den Opportunitätskosten einer falschen Entscheidung im as-Modus“ (Kroneberg 2011, S. 148).
Es hängt demnach sehr viel von der Motivation des Akteurs ab (p), ob er über etwas nachdenkt, denn der Akteur könnte sich Fragen stellen wie: Steht viel auf dem Spiel? Ist die Situation eindeutig? Habe ich Zeit zum Nachdenken? Wie hoch sind die Kosten, wenn ich mich irre? Oder er unterlässt diese Reflexionen und verbleibt im as-Modus.
Es sollte dem Modell der Frame-Selektion nicht vorschnell vorgeworfen werden, dass beim unbewussten Wechsel vom as-Modus in den rc-Modus ein Nutzenbegriff verwendet wird, der sich auf zukünftig zu erwartende Konsequenzen bezieht und diese „berechnet“ werden müssten wie bei einem bewussten Prozess. „Ein hoher Reflexionsnutzen bedeutet lediglich, dass eine Disposition, über die Situation nachzudenken, durch unmittelbar wahrnehmbare Situationsobjekte (…) aktiviert wird.“ (Kroneberg 2007, S.222f. Fn. 7). Eine eigentliche Berechnung liegt somit nicht vor.
Wie dieser unbewusste Prozess abläuft und welchen Einflussgrößen er unterliegt, verdeutlicht Kroneberg zwar, indem er ihn in der SEU-Sprache beschreibt, aber er verwendet die SEU-Theorie nicht. „An dieser Stelle wird nur deshalb auf die SEU-Theorie zurückgegriffen, weil sie erlaubt, den Zusammenhang zwischen Motivation, Aufwand, Opportunitäten und Aktivierung systematisch herzuleiten und dabei die Intuition eines angepassten Einsatzes von Reflexion zu berücksichtigen.“ (Kroneberg 2011, S. 145).
Welcher Modus in der konkreten Situation tatsächlich gewählt wird, ist ein vorbewusster Prozess, der am Ende festlegt, ob der Situation eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird oder nicht. Da keine bewusste Entscheidung getroffen wird, sind die Ansätze der instrumentellen Rationalität nicht anwendbar.
6. Studienlage
Das Modell der Frame-Selektion versucht als umfassende Handlungstheorie die Definition der Situation in den Prozess einfließen zu lassen, wobei das Modell aber so allgemein gehalten ist, dass es selbst nicht genau spezifiziert, wie diese Einflüsse wirken. Damit sind empirische Hypothesen aus dem Modell der Frame-Selektion nicht direkt ableitbar, sondern können nur über Brückenhypothesen gewonnen werden.15
Indizien für die Richtigkeit der hier geäußerten Vermutung, dass außer RP die anderen Ansätze der instrumentellen Rationalität nicht für das Modell der Frame-Selektion erforderlich sind, könnten Studien entnommen werden, die das Modell der Frame-Selektion verwenden, um soziologische Zusammenhänge zu erklären. Wenn die geäußerte Vermutung falsch wäre, dann müssten in diesen Studien genaue Angaben über die Operationalisierung von Ansätzen RO, RB oder RH in den analysierten Variablen vorliegen. Die Vermutung wäre falsifiziert, wenn nicht nur die SEU-Sprache verwendet, sondern auch tatsächlich die SEU-Theorie angewendet worden wäre.
Friedrichs et al. haben sehr übersichtlich die Anforderungen und Probleme einer Operationalisierung der SEU-Theorie formuliert (Friedrichs et al. 1993). In den Untersuchungen, die das Modell der Frame-Selektion verwenden, sollten sich demnach adäquate Angaben über das Entscheidungs- und Messmodell finden. Es müssten außerdem die Handlungsalternativen und deren Konsequenzen sowie deren Erwartungen und Nutzenbewertungen bzw. deren Gewichtung im Detail vorliegen.
Sehr ausführlich wird von Esser die Anwendung des Modells der Frame-Selektion auf die Ehe dargestellt (Esser 2002). Obgleich er in seinem Mikromodell über addierte Ehegewinne, Entwertungen und Auszahlungen spricht, Bewertungen als Nutzen ausgibt und den Ehegewinn als Investitionen über Zeitpunkte modelliert (Esser 2002, S. 40), überprüft er seine Thesen nicht durch Bewertungen und Erwartungen gemäß der SEU-Theorie, sondern nur indirekt über Brückenhypothesen, die die erfolgreiche Anwendung der SEU-Theorie unterstellen. Alle seine Ausführungen zum Framing wären aber auch verständlich, ohne auf RO oder RB einzugehen, denn der „alles steuernde Mechanismus ist eben nicht die „kalkulierende“ Rationalität der Akteure, sondern der Match von gedanklichen Modellen und symbolischen Repräsentationen in einer Situation.“ (Esser 2002, S. 59)
So untersucht Kroneberg die Wahlteilnahme in Demokratien und bezieht sich dabei explizit auf die klassische Rational-Choice-Theorie-Analyse von Downs (Downs 1968). Allerdings verwendet Kroneberg mit dem Modell der Frame-Selektion einen alternativen Erklärungsansatz: der Akteur definiert den Tag als Wahltag (Frame) und akzeptiert die Wahl als normativ vorgeschrieben (Skript) (Kroneberg 2011, S. 180f.). Daraus leitet er über einen Internalisierungsgrad eine wertrationale Fundierung der Wahlnorm ab (Kroneberg 2011, S. 185) und entwickelt daraus seine zu untersuchenden Variablen. Selbst im rc-Modus wird nicht auf Erwartungen oder Nutzen Bezug genommen, sondern die Entscheidungen der Akteure nur mit „guten Gründen“ gemäß RP beschrieben (Kroneberg 2011, S. 228).
Auch bei der ausführlichen Analyse der Rettung der Juden verwendet Kroneberg zwar Anreiz- und Gelegenheitsindikationen sowie das Vorliegen eines Hilfegesuchs und einer prosozialen Orientierung der Akteure als unabhängige Variablen,16 aber es werden weder die Erwartungen noch Bewertungen spezifiziert, um eine Berechnung gemäß der SEU-Theorie durchführen zu können (Kroneberg 2012, S. 48f.). Es bleibt auch in dieser Untersuchung bei der Feststellung, dass ein „weiter Ansatz“ der Rational-Choice-Theorie gewählt und mit gut begründeten Brückenhypothesen kombiniert wurde.
Eckhard untersuchte die Ursachen der Kinderlosigkeit mit dem Modell der Frame-Selektion. Dabei verwendete er das Modell der Frame-Selektion als theoretisches Erklärungsmodell und benutzt für die Selektionsbedingungen der auf Familie verweisenden Partnerschaftsrahmung die entsprechenden Formeln (Eckhard 2014, S. 30). Der Match (mfam=a*b*c) für das Familien-Frame wird zwar durch entsprechende Variablen definiert (Eckhard 2014, S. 36), aber es werden weder die Kosten oder der Nutzen überprüfbar bestimmt, noch wird eine Entscheidungsmatrix angeführt, um den erwarteten Nutzen zu berechnen. Damit wird lediglich RP zur rationalen Begründung verwendet.
Bildungsaspirationen wurden von Stocke als Ergebnis sozialer Rahmungsprozesse angesehen (Stocke 2013, S. 274f.) und er verwendete das Modell der Frame-Selektion als Erklärungsmodell. Bei der Analyse des Mannheimer Bildungspanels werden aber weder der Match definiert noch der erwartete Nutzen bestimmt. Das Modell der Frame-Selektion wird lediglich als theoretisches Erklärungsmodell verwendet (Stocke 2013, S. 292), ohne dass RO oder RB angewendet werden. Ähnlich verwendet van der Kuil das Modell der Frame-Selektion, indem sie das Modell als theoretische Basis zur Ableitung ihrer Hypothesen verwendet (van der Kuil 2017, S. 381), aber weder die genauen Spezifikationen geschweige noch einen Ansatz der Rational-Choice-Theorie verwendet.
Weingartner versucht die Rational-Choice-Theorie, Praxistheorie und das Modell der Frame-Selektion zu einem Erklärungsmodell zu verbinden, um den Kulturkonsum zu erklären. Kulturkonsum wird als Ergebnis eines reflektierten Abwägungsprozesses von kulturellen Präferenzen und objektiven Opportunitäten (Weingartner 2013, S. 6) und einer automatischen Handlungswahl durch kulturelle Orientierungen und Handlungsrepertoire dargestellt (Weingartner 2013, S. 11). Aus diesen Vermutungen werden dann Hypothesen abgeleitet und empirisch durch eine Sekundäranalyse überprüft. An keiner Stelle werden die Grundannahmen der SEU-Theorie oder einer seiner Ansätze genauer spezifiziert, sondern lediglich als allgemeingültige Aussagen über Nutzen und Opportunitäten wiederholt, so dass auch diese Studie keine SEU-Theorie voraussetzt, sondern sich lediglich auf das Rationalitätsprinzip RP bezieht.
In den ausgewählten Studien wurde das Modell der Frame-Selektion zwar zur Ableitung von Hypothesen verwendet, aber sie enthielten keine expliziten Angaben zur SEU-Theorie, so dass sie nicht die Anforderungen erfüllten, die an eine Operationalisierung der SEU-Theorie zu fordern wären (Friedrichs et al. 1993). Die Studien plausibilisieren lediglich Hypothesen durch die Begrifflichkeit der Rational-Choice-Theorie und des Modells der Frame-Selektion und überprüfen die Hypothesen dann anhand üblicher quantitativer Methoden. Sie überprüfen aber damit nicht, ob die SEU-Theorie oder das Modell der Frame-Selektion geeignet sind, sondern unterstellen ihre Geltung.17
Damit wurde durch die Studien die Vermutung nicht widerlegt, dass das Modell der Frame-Selektion auf die SEU-Theorie verzichten könnte und RP als Ausdruck der instrumentellen Rationalität ausreichen würde.
7. Zusammenfassung
Esser schlug ursprünglich ein Modell der soziologischen Erklärung vor, das auf dem Makro-Mikro-Makro-Modell basiert, das überwiegend Konzepte der Rational-Choice-Theorie implementiert und in dem die SEU-Theorie als allgemeingültige Handlungstheorie fungiert. Um für möglichst viele Handlungstypen anschlussfähig zu sein, wurde daraus das Modell der Frame-Selektion entwickelt, in dem der Einfluss der Definition der Situation auf die Handlungswahl angemessener und umfassender berücksichtigt wurde.
Fraglich ist, in welchem Maße das neue Modell noch der Rational-Choice-Theorie verpflichtet ist. Die Untersuchung zeigt, dass das Modell der Frame-Selektion im Wesentlichen nicht mehr auf der SEU-Theorie basiert, obgleich es durch den Gebrauch der SEU-Sprache suggeriert, noch substantiell an die SEU-Theorie gekoppelt zu sein.
Die definierten Ansätze der informellen Rationalität RO, RB, RH und RP finden im unbewussten as-Modus allesamt überhaupt keine Anwendung mehr. Selbst im bewussten rc-Modus sind bei der Selektion von Frames und Skripten Nutzenerwägungen unangebracht, so dass RO und RB als Ausdruck der SEU-Theorie nicht anwendbar sind. Lediglich bei der Handlungswahl im rc-Modus wäre die SEU-Theorie noch sinnvoll.
Die SEU-Theorie ist demnach nicht mehr ein notwendiger Bestandteil der Handlungstheorie und ob sie eingesetzt wird, unterliegt weitgehend der Entscheidung des Anwenders (Kroneberg 2011, S. 321). Letztlich rechtfertigt Kroneberg den Rückgriff auf Ansätze der Rational-Choice-Theorie bzw. SEU-Theorie bei der Modellierung des Modells der Frame-Selektion nur damit, dass mit ihnen relativ einfach erklärt werden kann, wie rational entschieden wird (Kroneberg 2011, S. 320). Eine substantielle Begründung fehlt.
8. Schlussfolgerung
Das Modell der Frame-Selektion wird zur Generierung von Brückenhypothesen soziologischer Zusammenhänge erfolgreich eingesetzt. Da es viele soziologische Dimensionen in ein Erklärungsmodell integriert, hat es sich als fruchtbares Instrument der soziologischen Analyse erwiesen. Diejenigen, die die Rational-Choice-Theorie im Sinne von RO und RB und das damit einhergehende Menschenbild ablehnen, können das Modell der Frame-Selektion dennoch nutzbringend anwenden, weil es auch mit den Ansätzen RH und RP verträglich ist und damit offen für andere Entscheidungstheorien, die nicht der SEU-Theorie verpflichtet sind.
„Aber die Welt ist nicht immer, eher sogar recht selten so, wie es die RCT braucht, und daher sind auch die verschiedenen spiel- und nutzentheoretischen Modellierungen zur Erklärung der sozialen Ordnung nicht immer auch (sinnvoll) anwendbar.“ (Esser 2010a, S. 59)
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Fußnoten
1 Personen werden im Folgenden als Akteure bezeichnet, um den Bezug zu Handlungen zu verdeutlichen.
2 Bei diesem Rationalitätsprinzip handelt es sich um eine Definition und somit nicht um eine falsifizierbare Theorie.
3 Als einfachste und minimalste Selektionsregel könnte zum Beispiel gelten: Wähle diejenige Alternative, die nicht von einer anderen Alternative dominiert wird. Als Dominanz wird angesehen, dass eine Alternative besser ist, – egal aus welchem Grunde. Würde ein Akteur nach dieser Selektionsregel vorgehen, dann würde er eine optimale Alternative nur finden, wenn es tatsächlich eine gäbe, die alle anderen Alternativen dominiert. Das ist nicht immer der Fall. Häufig wird man sich mit derjenigen Alternative begnügen, die nicht dominiert wird, – wenn es also keine bessere gibt (Rechenauer 2009, S. 70).
4 Gegen diese abgeschwächten Anforderungen wurde zwar vorgebracht, dass der beschränkte Ansatz im Vergleich zum homo oeconomicus tautologisch, zirkulär, empirisch inhaltsleer oder trivial wäre, aber Opp wies überzeugend daraufhin, dass diese Argumente auch das Modell des homo oeconomicus beträfen, wenn sie zutreffen würden (Opp 1999, S. 179ff.).
5 Allerdings wurde die SEU-Theorie nicht völlig aufgegeben, obgleich sie empirisch meistens nicht zutraf, sondern sie wurde mit dem Argument weiterverwendet, dass es keine bessere Alternative gibt (Esser 2001a, S. 358).
6 „Die institutionellen Regeln definieren den sozialen Sinn einer Situation.“ (Esser 2001a, S. 53)
7 Obgleich alle kollektiven Zusammenhänge und strategischen Entscheidungen aus der weiteren Analyse ausgeschlossen werden, soll an dieser Stelle dennoch darauf hingewiesen werden, dass die Definition der Situation ein sozialer Prozess ist, der sich interaktiv konstituiert und stabilisiert und somit eine gesellschaftliche Wirklichkeit konstruiert (Esser 2001a, S. 167ff.).
8 Essers Ansicht, dass sich die Produktionstheorie der Mikroökonomik eignet, um Handeln allgemein als Nutzenproduktion zu modellieren (Esser 2001b, S. 59) ist äußerst kritikwürdig, weil die Produktionstheorie an äußerst strikte Bedingungen geknüpft ist. „Unterstellt man für alle Produktionsfaktoren und für die Produkte beliebige Teilbarkeit und Homogenität, so lassen sich die Beziehungen zwischen technisch effizienten Faktoreneinsatzkombinationen und Ausbringungsmenge durch Produktionsfunktionen darstellen.“ (Wöhe 2013, S. 286). Als technisch effizient gelten aber nur diejenigen Kombinationen an Produktionsfaktoren, die das ökonomische Prinzip einhalten. Damit mag die Produktionsfunktion für die Modellbildung weniger Faktoren unter idealisierten Bedingungen hilfreich sein, aber sie verliert weitgehend ihre Erklärungskraft in komplexen Situationen.
9 Mayerl hat ausgehend von einem generischen „dualen“ Prozessmodell der Einstellungsforschung das Modell der Frame-Selektion um eine motivationale „Exit-Option“ erweitert (Mayerl 2009, S. 230ff.). Da sich sein Ansatz bezüglich der hier untersuchten Fragestellung aber nicht von dem Kronebergs unterscheidet, wird Mayerl’s Modifikation nicht gesondert diskutiert.
10 Äußerst differenziert weist Schulz-Schaeffer daraufhin, dass der Begriff „Situationsdefinition“ mehrdeutig ist und sowohl eine konstitutive als auch performative Bedeutung hat. Sie ist konstitutiv als Situationsdeutung, indem sie die Situation zutreffend erfasst und damit die Passung feststellt, oder auch performativ, indem sie zugleich die Situation definierend herstellt und damit die Geltung in Abhängigkeit vom Nutzen festlegt (Schulz-Schaeffer 2008, S. 366). Im ersteren Fall käme es nur auf die Modell-Geltung an, während im zweiten Fall auch der Modell-Nutzen relevant ist. Das Modell der Frame-Selektion bildet diese Unterscheidung nicht ab.
11 Kroneberg sieht die beiden Modi nicht als extreme Pole, sondern als ein analytisches Gegensatzpaar (Kroneberg 2011, S. 124 Fn. 54).
12 Dabei gibt es „Low-Cost“-Situationen, in denen eine Fehlentscheidung nicht teuer wäre, so dass sich ein intensives Nachdenken und Beschaffen von Informationen nicht lohnt. In „High-Cost“-Situationen ist es dagegen umgekehrt und Fehlentscheidungen sollten möglichst vermieden werden. Die Besonderheiten von Niedrig- und Hochkostensituationen bleiben unberücksichtigt, weil sie innerhalb des Modells der Frame-Selektion lösbar (Mayerl 2010; Best, Kroneberg 2014), aber bezüglich der Fragestellung nicht relevant sind.
13 Mayerl entwickelt aus seinem generischen „dualen“ Prozessmodell drei Modi des Handelns: automatisch-spontanes hinweisreizabhängiges Handeln, automatisch-spontanes einstellungsabhängiges Handeln und überlegt-kontrolliertes Handeln (Mayerl 2010, S. 41).
14 Bei Kroneberg könnte höchstens noch von einem indirekten Nutzen über den Prozess der Enkodierung des Frames gesprochen werden (Kroneberg 2005, S. 360).
15 Fraglich ist, ob das Modell der Frame-Selektion damit überhaupt falsifizierbar ist oder nur noch als Modellierungsrahmen gelten kann (Kroneberg 2011, S. 144).
16 Beachtenswert ist die Kritik von Fleck und Müller (2014) an der von Kroneberg gewählten Methode, die nahelegt, dass der gesamte Erklärungsanspruch gescheitert sein könnte.
17 Auspurg et al. untersuchten berufliche Umzugsentscheidungen in Partnerschaften gemäß der Verhandlungstheorie, gemäß der Low-Cost-Theorie und gemäß dem Modell der Frame-Selektion und konnten kein kostenunabhängiges Befolgen von Einstellungen nachweisen, wie es durch das Modell der Frame-Selektion vorhergesagt wurde (Auspurg et al. 2014).